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10. 9. 2024
Friedrich Schorlemmer ist gestorben: Seine Stimme fehlt, gerade
in Kriegszeiten
Nachruf Der Theologe Friedrich
Schorlemmer hat sich nie unterkriegen lassen – weder in der DDR noch in der
Wendezeit noch vom Schicksal. Nun ist der Bürgerrechtler 80-jährig verstorben.
Er war ein kluger Anstifter in Ost und West, der fehlen wird
DER FREITAG, Ausgabe 20/2024|
In diesem Frühjahr noch hat
Friedrich Schorlemmer den „Friedenstein“ bekommen, den Preis der nach dem
Schloss benannten Kulturstiftung Gotha. Als Vertreter der Bewegung „Schwerter
zu Pflugscharen“, bei der am 24. September 1983 im Wittenberger Lutherhof ein
Schmied ans Werk ging. Die Aktion blieb bis zuletzt geheim, auch das
eingeladene Westfernsehen wusste nur, dass etwas Interessantes passieren würde.
Dann gingen die Bilder um die Welt. Und fortan verband das Prophetenwort die
Friedensbewegung in Ost und West. War es doch in Zeiten von sowjetischen SS-20-
und US-amerikanischen Pershing-Raketen in der DDR nicht erwünscht, listig an
die pazifistische Skulptur zu erinnern, die die Sowjetunion im Jahr 1959, mehr
oder weniger vergeblich, der UNO geschenkt hatte.
„Das war schon eine kleine
Heldentat“, sagte ich aufmunternd, als ich Friedrich Schorlemmer
beglückwünschend besuchte. „Man soll das nicht unterschätzen, aber auch nicht
übertreiben“, antwortete er. Oh, dachte ich erfreut, ganz der Alte –
wortempfindsam. Er sprach leise, aber in gewohnt prägnanter Rhetorik.
Am 9. September nun ist Friedrich
Schorlemmer mit 80 Jahren in Berlin verstorben, nach langer Krankheit.
In seiner
Autobiografie erzählte er, was es heißt, „am seidenen Faden“ zu leben. Etwa
wie er als Kind im Kirchturm durch ein zwischen den Balken liegendes Brett
gebrochen ist und im freien Fall zwanzig Meter tief stürzte. Er landete auf
Holzbohlen, nur einen Meter entfernt von alten Metallgewichten der Turmuhr.
Damals ist er mit „schrecklichen Prellungen“ davongekommen. Und hatte auch
sonst manches Glück. Er muss aufmerksame Schutzengel gehabt haben. Aber
Krankheiten scheinen nicht in deren Zuständigkeit zu fallen.
Seit einiger Zeit litt dieser
charismatische, kluge, einfühlsame Theologe, Prediger, Autor, Studienleiter,
Musik- und Lyrikkenner unter Demenz mit Parkinson. Eine besonders fiese
Kombination, weil sie Körper und Geist angreift. Nach anfänglichem Zögern ging
Friedrich Schorlemmer offen damit um. Er schaute von einer Metaebene auf sich:
„Merkst du, jetzt lässt die Konzentration nach.“ Dann, so wusste er, wird es
mit der Kommunikation schwierig, dann überfiel ihn Schwäche, zog ihn in andere
Welten. „Empört dich die Krankheit?“, fragte ich. „Ja, sie empört mich!
Immerhin habe ich keine Schmerzen.“ – „Betest du noch?“ – „Ja, das ist das
Einzige, was ich noch mache.“
Einen Trost hatte der Moralist
Schorlemmer: Alles, was er sagen wollte, hat er gesagt. In über 20 Büchern, in
Reden und Interviews. Sein Engagement hat bei seinen Mitstreitern und Lesern
Spuren hinterlassen. Auch bei mir.
Ein denkwürdiger Abend
Zwar haben wir durch unsere
unterschiedliche Herkunft die DDR verschieden erlebt und manche Formulierung
des anderen als überspitzt empfunden. Aber die neuen, gemeinsamen Erfahrungen
wurden immer dominanter. Nachdem fünf namhafte Autorinnen auf meine Initiative
am 14. September 1989 im Berliner Schriftstellerverband eine Erklärung
eingebracht hatten, die einen sofortigen demokratischen Dialog über die
angestauten Probleme forderte, wurde diese nach stundenlanger Diskussion mit
großer Mehrheit angenommen und verbreitete sich als erste Protestresolution der
revolutionären Herbstereignisse. Umgehend ließ mir Friedrich Schorlemmer über
Umwege einen Brief zukommen, in dem er mich zur Gründung der Bürgerbewegung
Demokratischer Aufbruch einlud.
Am 1. Oktober trafen wir uns zu
diesem Anlass – ein denkwürdigen Abend, mit einem Mannschaftswagen voller
Bereitschaftspolizei zur Einschüchterung vor dem Fenster. Aber die Macht war
selbst schon eingeschüchtert, griff nicht ein. Zumal drinnen in einer programmatischen
Erklärung beschlossen wurde, die DDR erneuern zu helfen, nicht sie
abzuschaffen. „Wir wollen neu lernen, was Sozialismus für uns heißen kann.“
Nach seiner legendären Rede am 4. November auf dem Berliner Alexanderplatz, in
der er sich freute, dass wir „von Objekten zu Subjekten des politischen
Handelns“ geworden waren, galt Friedrich Schorlemmer verdientermaßen als
Wortführer derer, die eine wirkliche, friedliche „Revolution“ im Auge hatten.
„Wir ersehnten zuvörderst und unaufschiebbar einen Wandel der Welt – der
natürlich auch die verkrustete DDR erfassen müsste.“
Als sich ein Vierteljahr später
unsere Sammlungsbewegung in eine Partei verwandelte und sich gar vor den
Märzwahlen von Helmut Kohl und seiner Allianz für Deutschland vereinnahmen
ließ, glaubten wir nicht mehr an einen „Demokratischen Aufbruch“ und traten
aus. Angela Merkel und andere schlossen im DA die Reihen.
Es gab immer wieder mal „kräftig was
über die Rübe“, wie Schorlemmer es nannte
In der Reihe Zur Person von Günter
Gaus (wie Friedrich Schorlemmer einstiger Herausgeber des Freitag)
beklagte er schon im Februar 1990, wie hysterisch die Stimmung geworden sei.
Bitter für alle, die am Traum des Prager Frühlings festhielten, eine sozial
gerechte Gesellschaft zu schaffen, in der sich jeder Einzelne entfalten kann.
Er sei skeptisch geworden, ob es gelingen werde, ein „globales Gewissen“ zu
entwickeln, dass die Spaltung zwischen Nord und Süd und Ost und West überwinden
könne.
Mit dieser Grundhaltung bekamen wir
immer wieder „kräftig über die Rübe“, wie er es nannte. So, als wir im Januar
1997 die Erfurter Erklärung mitverfassten. Der kalte Krieg gegen den
Sozialstaat hinterlasse in unserem formal vereinten Land eine andere, gnadenlose
Republik, ohne Perspektiven. Die bisher getrennten Oppositionskräfte sollten
sich durch Feindbilder und Nichtberührungsgebote nicht schrecken lassen.
Erstmals empfahlen die Unterzeichner, darunter Claudia Roth, Günter Grass und
Walter Jens, die Chance für eine rot-rot-grüne Koalition nicht verstreichen zu
lassen. Kanzler Kohl warf diesen „intellektuellen Anstiftern“ vor, sie seien
zusammengerottete „Hassprediger“, die „auf der Straße des Verrats“ ihr Haupt
erheben.
Der Grundwiderspruch zwischen West
und Ost war lange Zeit, dass die einen glaubten, sie gäben ihr Letztes, während
die anderen meinten, man nehme ihnen das Letzte. In dieser Stimmung gründete
sich der Willy-Brandt-Kreis, ein Thinktank, wie man heute sagen würde, dem wohl
einzigen, in dem linke Sozialdemokraten, und, Gott-sei-bei-uns, einige PDSler
oder parteilos vagabundierende Linke wie ich, sich austauschten. Nachdem Egon
Bahr den Vorsitz abgab, übernahm ihn für viele Jahre das inzwischen
SPD-Mitglied Friedrich Schorlemmer. Mit wohltuend pastoraler Dramaturgie,
besorgt auch um unsere Seelen. Er eröffnete meist mit einem Gedicht, gern von
Brecht, auch Hölderlin oder polnischen Dichtern wie Miłosz und
Różewicz. Dann sollte jeder reihum erzählen, womit er sich beschäftigt,
was ihn und sie gerade besorgt oder erfreut habe. Er hatte die Gabe,
unterschiedlichste Menschen einander nahe zu bringen, mit langer
Haltbarkeitsdauer, oft bis heute.
Dem diente auch seine Reihe
„Lebenswege“ an der Evangelischen Akademie in Wittenberg. Im Laufe der Jahre
hat er sein Publikum mit mehr als hundert streitbaren Persönlichkeiten aus
Politik, Kunst und Kirche ins Gespräch gebracht – hochinteressant, in sechs
Bänden nachzulesen.
„Bist du noch gesellschaftlich
aktiv?“, fragte er bei meinem Besuch überraschend. Ich antwortete ausweichend,
ahnte ich doch, wie gern er es selbst noch wäre. Seine Stimme fehlt, gerade in
Kriegszeiten.
Am 16. Mai wurde Friedrich
Schorlemmer 80, es sollte sein letzter Geburtstag werden. Ich beglückwünsche
ihn dazu, wie couragiert und intensiv er seine Jahre zu Lebenszeiten genutzt
hat!
Daniela Dahn war, wie Friedrich
Schorlemmer, viele Jahre Herausgeber des Freitag. Sie ist Autorin
und Publizistin. Zuletzt erschien von ihr Im
Krieg verlieren auch die Sieger (Rowohlt Verlag)
Aufschwung
der extremen Rechten
29
JUNIO 2024
Bei den
jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament gab es einen bemerkenswerten
Vormarsch rechtsextremer politischer Kräfte. Es handelt sich um einen Trend,
der sich schon seit einiger Zeit abzeichnet und der in einigen Ländern, auch
außerhalb Europas, bereits politische Formen angenommen hat. Und auch außerhalb
der politischen Sphäre: Es gibt viele religiöse Strömungen, sowohl innerhalb
als auch außerhalb unserer Kirche, die rechtsextreme Ansätze vertreten. Es lohnt
sich, den Ursachen und der Bedeutung dieses Phänomens Aufmerksamkeit zu
schenken.
In erster Linie und unabhängig von dem Bereich, in
dem die Begriffe "rechts" und "links" mit politischer
Bedeutung verwendet werden, sollte man sich daran erinnern und nicht aus den
Augen verlieren, dass sie Positionen im Klassenkampf definieren. Das heißt, sie
haben nur im Rahmen oder Kontext einer in soziale Klassen geschichteten
Gesellschaft eine politische Bedeutung. Soziale Klassen mit unterschiedlichen
und widersprüchlichen, konkurrierenden Interessen. Die Form des Kampfes kann je
nach den wirtschaftlichen Gegebenheiten von relativ friedlichen Formen,
einfachen Streiks oder Demonstrationen, bis hin zu Situationen mit
unterschiedlichem Grad an Gewalt bis hin zum Bürgerkrieg variieren.
In diesem Kontext konkurrierender Klasseninteressen
wird die Bezeichnung "links" üblicherweise jenen Kräften zugewiesen,
die für eine gerechtere und ausgewogenere Gesellschaftsordnung ohne Ausbeutung
einer oder mehrerer Klassen gegenüber anderen eintreten, und "rechts"
jenen Kräften, die an der Aufrechterhaltung der bestehenden
Gesellschaftsordnung und der Wirtschaftsbeziehungen zum Nutzen der Begünstigten
interessiert sind. Da das Schachbrett, auf dem sich der Kampf abspielt, auf diese
Weise definiert ist, müsste theoretisch jeder wissen, wo er in diesem Kampf
steht und was seine Klasseninteressen sind. In der Realität ist dies jedoch
nicht der Fall. Wir sehen, dass breite Massen der Enteigneten, der
Ausgebeuteten, der Opfer des Wirtschaftssystems, sich im Kampf für ihre
Ausbeuter und Plünderer, also gegen ihre Klasseninteressen, aufstellen. Die
Reichen könnten die sie begünstigende wirtschaftliche und soziale Situation
nicht aufrechterhalten, wenn sie nicht die politische und wahlpolitische
Unterstützung der breiten Masse der Unterdrückten hätten, wie es bei den
letzten Wahlen der Fall war.
Das Phänomen ist nicht neu. Erinnern wir uns an die
Menge, die Pilatus aufforderte, Barabbas freizulassen und Jesus von Nazareth zu
verurteilen. Wie kommt es, dass diese deklassierten Menschen, die sich ihrer
wahren Interessen nicht bewusst sind, produziert werden? Die Strategie besteht
darin, das beherrschte Volk in Unwissenheit zu halten. Ein altes hinduistisches
Sprichwort besagt: Wenn zwei Reiche im Krieg sind und eines von ihnen es nicht
weiß, hat das andere alle Chancen zu gewinnen.
Die Förderung der Deklassierung der unteren Klassen erleichtert das
Ziel, ihren Widerstand gegen die Ausbeutung zu verhindern. Es geht darum, sie
dazu zu bringen, künstliche Identitäten anzunehmen, die die Angehörigen der
unterworfenen und minderwertigen Klassen mobilisieren und gegeneinander
ausspielen. Die Identitätselemente sind unterschiedlicher Art.
- In einigen Fällen handelt es sich um den Begriff
der "Heimat". Er diente vor einem Jahrhundert dazu, breite Massen von
Deutschen auf der Grundlage der Frustration über die Niederlage im Ersten
Weltkrieg zu mobilisieren, und er diente auch dazu, Widerstand gegen das
Universelle zu erzeugen. Sie diente auch dazu, Widerstand gegen den von den
Kräften der Linken vertretenen Universalismus zu erzeugen. Sowohl die
BREXIT-Bewegung und die Gegner der Konsolidierung der Europäischen Union als
auch der separatistische Nationalismus aus ethnischen oder sprachlichen Gründen
beruhen auf dem elitären Gefühl der Zugehörigkeit zu einem bestimmten
Heimatland, das gegen Menschen anderer nationaler Identitäten verteidigt werden
muss.
- In anderen Fällen ist das Identitätselement die
"Religion". Typisch ist zum Beispiel die Konfrontation in Nordirland
zwischen Gemeinschaften von Menschen mit unterschiedlichen religiösen
Überzeugungen. Auch der religiöse Fundamentalismus, der zu Konflikten zwischen
Muslimen, Christen, Juden, Hindus usw. führt, gehört zu dieser Kategorie.
- Es gibt auch die Elemente der "Kultur",
der "Tradition"... als Quelle und Ursprung von Ablehnung, die sogar
innerhalb von Gemeinschaften mit derselben Nationalität, Rasse, Religion...
auftreten.
- Vor allem aber ist das Konzept der
"Rasse", der "Ethnie" ein mobilisierendes
Identitätselement, das die soziale Ablehnung oder Zurückweisung mobilisiert.
Dieses Element, das als "Fremdenfeindlichkeit" und "Rassismus"
bekannt ist, kann mit einigen der anderen oben genannten Arten der sozialen
Ablehnung kombiniert werden: Religion, Kultur, Nationalität sowie "Aporophobie", definiert als: Ablehnung, Abneigung,
Angst und Verachtung gegenüber den Armen, den Unterprivilegierten, die nichts
zurückgeben können. Dies ist zweifellos die Hauptursache für den Aufstieg der
extremen Rechten in Europa und auch in den USA, Wir leben in einer Zeit, in der
es aus verschiedenen Gründen - wirtschaftlichen, geostrategischen,
demografischen, klimatischen - eine gewaltige Auswanderungswelle aus Afrika und
dem Osten nach Europa und aus Südamerika in die USA gibt. Die Einwanderer haben
mehrere oder alle Gründe, die zu Ablehnung führen: einen Zustand des Elends,
eine andere ethnische Zugehörigkeit oder Rasse, Religion, Kultur, Sprache...
mit anderen Worten, sie bringen alles mit, was in den Zielländern die
schlimmsten Gefühle von Elitismus und Egoismus wecken kann. Diese Situation ist
der fruchtbare Boden, auf dem der Faschismus seine Wahlerfolge feiert.
Es liegt im Interesse der herrschenden Klasse(n),
solche Bewegungen von uninformierten Eliten zu fördern und zu organisieren. Der
ideologische Apparat des herrschenden Systems, Bildung und Information, an dem
die Religionen bereitwillig und aus Eigeninteresse mitarbeiten, ist sehr
wirksam bei der Erzeugung dieser Massen von Menschen mit Sklavenseelen, die den
Stiefel küssen, der sie unterdrückt. In Spanien sehen wir die massive
Wahlunterstützung für eine politische Rechte, die keinen Hehl daraus macht,
dass sie die sozialen Dienste abbauen will: Gesundheit, Bildung, Wohnen... und
wenn sie regiert, billigt sie Kürzungen gegen die ausgebeuteten Klassen,
während sie Steueramnestien zugunsten der Mächtigen anwendet, die den Fiskus
betrogen haben. Zugunsten ihrer Genossen, die sich an der Macht schwerer
Korruptionsfälle schuldig gemacht haben, hat diese politische Rechte, die jetzt
in der Opposition ist, ihren Einfluss auf den Generalrat der Justiz, dessen
Erneuerung sie bis vor kurzem mehrere Jahre lang bekämpft hat, in parteiischer
Weise genutzt.
Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass das Ziel der extremen
Rechten, die gefördert wird, über die Schaffung und Erhaltung einer gefangenen
Wählerschaft hinausgeht. Es hat schon immer Menschen aus den unteren
Bevölkerungsschichten gegeben, die ihre Ausbeuter unterstützt haben. Neu am
aktuellen Phänomen des Neofaschismus ist die Aggressivität in den öffentlichen
Formen des politischen Wettbewerbs, die zur Entwürdigung und Verzerrung des
politischen Geschehens beiträgt, was als bewusste Absicht erscheint, um die
politischen Institutionen zu diskreditieren und das Vertrauen der Menschen in
das demokratische System zu untergraben. Heute droht erneut ein Krieg in der
Welt, und wir haben bereits einen militärischen Konflikt in Europa, in den
unsere Regierung und die anderer europäischer Länder immer stärker verwickelt
werden. Es ist zu befürchten, dass der Aufstieg der extremen Rechten, über den
wir hier sprechen, Teil einer Strategie ist, die kurz- oder mittelfristig jede
mögliche Reaktion der Bevölkerung auf das katastrophale Schicksal, in das sie
uns führen, zunichte machen soll.
Kevin Clarke10. Juni 2024
Kardinal Pierbattista Pizzaballa, der lateinische Patriarch von Jerusalem, geht während
eines Besuchs zu Pfingsten durch die Ruinen von Gaza-Stadt. Auf einer Pressekonferenz
am 20. Mai nach seiner Rückkehr nach Jerusalem sagte er, er habe festgestellt,
dass die kleine, widerstandsfähige Gemeinde der Pfarrei der Heiligen Familie
trotz der schrecklichen Zerstörung und der ständigen Bombardierung, die sie
erlebt hat, „festen Glauben“ besitze. (OSV News-Foto/mit freundlicher
Genehmigung des lateinischen Patriarchats von Jerusalem)
Der jahrelange sogenannte Schattenkrieg zwischen Israel und dem
Iran eskalierte im April zu einem heftigen Konflikt, nachdem ein israelischer
Angriff in Damaskus hochrangige Mitglieder der Islamischen Revolutionsgarde
tötete. Iranische Streitkräfte revanchierten sich Tage später mit einer Armada
von über 300 Drohnen und Raketen über ganz Israel.
Der Kalte Krieg zwischen dem Iran und Israel, der sich in den
ersten direkten Schlagabtauschen zuspitzt, war nur einer von 70 Konflikten, die
im Mai von CrisisWatch ,
dem globalen Konflikttracker der International
Crisis Group, verfolgt wurden . Natürlich steht der Krieg in
der Ukraine nach wie vor im Fokus der Datenbank, aber auch andere Konflikte,
die Aufmerksamkeit erregten, waren ein deutlicher Anstieg der Gewalt im Sudan
und erneute Zusammenstöße in der äthiopischen Region Tigray, die Tausende von
Menschen vertrieben.
In zahlreichen anderen afrikanischen Ländern, darunter dem
Tschad, der Zentralafrikanischen Republik, Kamerun und Burkina Faso, nahmen die
politischen, ethnischen und konfessionellen Spannungen zu. In Myanmar erzielten
ethnische Milizen überraschende Erfolge auf dem Schlachtfeld. Die weitgehend
vergessene Tragödie in Syrien ging weiter, und kriminelle Banden und plündernde
Milizen drohten, Haiti, die Demokratische Republik Kongo und Nigeria zu
überfallen.
Diese Zusammenfassung spiegelt nur einen kleinen Teil der
heutigen Konflikte wider, auch wenn viele von ihnen nicht so viel
Aufmerksamkeit erregen wie die verheerenden Kriege in Gaza und der Ukraine. Die
Menschheit ist ständig Zeuge von Kriegen und Kriegsgerüchten, aber wir scheinen
in eine besonders konfliktreiche Zeit einzutreten. Der Schrecken des
Blutvergießens des letzten Jahrhunderts scheint vergessen, während große und
kleine Weltmächte ihre Begeisterung für die Kriegsführung als Mittel zur
Verfolgung regionaler und geopolitischer Ziele wiederentdecken und lange
ungelöste Konflikte um Grenzen, ethnische Bestrebungen und schwindende
Ressourcen in erneuten Kämpfen aufflammen.
Eine Analyse des Uppsala
Conflict Data Program , die in der Oktoberausgabe
2023 von Foreign Affairs zitiert wird, stellt fest,
dass die Zahl, Intensität und Dauer der Konflikte weltweit auf dem höchsten
Stand seit der Zeit vor dem Ende des Kalten Krieges ist. Diese Konflikte führen
zu einem historischen Ausmaß an wirtschaftlichen Umwälzungen und Vertreibungen.
Die Kosten der gesamten globalen Gewalt stiegen
2022 um 7 Prozent auf 17,5 Billionen Dollar – das entspricht 13
Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts – so das Institute for Economics & Peace.
Laut Angaben von UN-Vertretern lag die Zahl der durch Konflikte
und Gewalt vertriebenen
Menschen bis Ende September 2023 bei über 114 Millionen. Dies ist
der größte jemals verzeichnete Anstieg der Zahl der Zwangsvertreibungen in
einem Jahr. Zwei Milliarden Menschen, ein Viertel der Menschheit, leben an von
Konflikten betroffenen Orten und sind nicht nur von Gewalt bedroht, sondern
auch von Armut, Hunger und zusammenbrechender Infrastruktur, die mit Kriegen
einhergehen.
Bill O'Keefe ist stellvertretender Vorsitzender für Mission,
Mobilisierung und Interessenvertretung bei Catholic
Relief Services , der in Baltimore ansässigen Hilfsorganisation
der US-Kirche für globale Hilfe und Entwicklung. Der Konflikt in der Sahelzone
Afrikas und die Verwüstungen in Gaza, der Ukraine und Myanmar sind nur einige
der konfliktbedingten Krisen, mit denen CRS und andere humanitäre
Organisationen zu kämpfen haben. Die Summe dieser und anderer Konflikte, sagt
Herr O'Keefe, hat eine Umkehr dessen bedeutet, was einst eine historische
Periode des Fortschritts im Kampf gegen Hunger und Armut gewesen war.
Im Jahr 2015 verkündete die UNO ihre nachhaltigen
Entwicklungsziele, ein ehrgeiziges Projekt mit dem Ziel, die weltweite Armut
und Verelendung bis 2030 zu halbieren. Nun „herrscht allgemeiner Konsens“, so
O'Keefe, „darüber, dass wir diese Ziele nicht erreichen werden, und das ist
wirklich tragisch.“
António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen,
spricht von einer „aus den Fugen geratenen Welt“ aufgrund von Konflikten und
Klimawandel. Aufgrund der Funktionsstörungen im Sicherheitsrat, der Schwächung
der während des Kalten Krieges etablierten Deeskalationsmechanismen und der
Entstehung einer multipolaren Realität „tritt unsere Welt in ein Zeitalter des
Chaos ein“, sagte der Generalsekretär. „Wir sehen die Ergebnisse: ein
gefährliches und unvorhersehbares Gerangel, bei dem alles ungestraft bleibt.“
Die internationale Ordnung, die nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs entstand, war zumindest rhetorisch darauf ausgerichtet, die
Kriegsführung in einen Anachronismus zu verwandeln – ein ehrgeiziges Ziel, das
auch in der Gründungscharta
der UNO von 1945 ausdrücklich befürwortet wurde. Dieses
Dokument selbst fügte eine moderne Kodifizierung dessen hinzu, was Mary Ellen
O’Connell, Professorin für Recht und internationale Friedensstudien am Kroc Institute for International
Peace Studies der University of Notre Dame, das
„uralte Kriegsverbot“ der Kirche nannte – ihre verschiedenen Versuche, durch
die Lehre vom gerechten Krieg einer bevorzugten Entscheidung für den Krieg
moralische und juristische Hindernisse in den Weg zu legen.
Sie sagt, dass es in der Nachkriegszeit sicherlich einen
gewissen Anteil an bewaffneten Konflikten gegeben habe, insbesondere in den
brutalen Unabhängigkeitskriegen, die darauf abzielten, den europäischen
Kolonialismus auszurotten. Aber sie spürt etwas Einzigartiges an der
zeitgenössischen Kriegsführung.
„Es gibt mehr Kriege, und es gibt Faktoren, die die
gegenwärtigen Kriege tödlicher und schwieriger zu handhaben machen“, sagt sie,
Faktoren, die „ein Gefühl von größerem Chaos und ein stärkeres Gefühl von
Bedrohung und Krise erzeugen, das wir alle spüren.“
Unsere hypervernetzte Welt ist teilweise für diese zunehmende
Angst verantwortlich. Die Weltöffentlichkeit erlebe Konflikte „auf intensivere
Weise“, sagt sie.
Szenen weit entfernter Gewalt werden live auf iPhones übertragen
und bieten in Echtzeit Bilder der Brutalität des Krieges und des Leidens
unschuldiger Menschen, die in Konfliktgebieten gefangen sind. Moderne Waffen
sind für Kombattanten und Nichtkombattanten gleichermaßen tödlicher, und
hybride Kämpfe, die von Drohnentechnologie gesteuert und von künstlicher
Intelligenz gesteuert werden, scheinen die Unmenschlichkeit moderner Konflikte
noch zu verstärken.
Dr. O'Connell stimmt mit den wiederholten Warnungen von Papst
Franziskus überein, dass ein dritter Weltkrieg stückweise ausbrechen und das
Gefühl von Hoffnung und Sicherheit für die Zukunft verdrängen werde. „Es fühlt
sich an, als stünde die Welt in Flammen“, sagt sie.
Die düstere Stimmung wird durch die existentielle Bedrohung
durch den Klimawandel noch verstärkt. Dieser ist ein Grundfaktor vieler
Konflikte, da verschiedene Nationen und innerhalb ihrer Grenzen auch
verschiedene Ethnien in einem beispiellosen Wettbewerb um Ressourcen stehen,
„wodurch ansonsten große Probleme noch unlösbarer werden“, sagt Dr. O‘Connell.
Trotz seiner unmenschlichen und anarchischen Auswirkungen wird
die Kriegsführung heute von international anerkannten Regeln bestimmt, die
ihren Ursprung in verschiedenen Bemühungen des 19. und 20. Jahrhunderts haben,
die Kriegsführung irgendwie zu zivilisieren. Diese Regeln sind heute im humanitären
Völkerrecht oder im Kriegsrecht zusammengefasst. Dieses
Kompendium von Gesetzen umfasst die Genfer Konventionen und setzt sich fort bis
hin zu modernen Abkommen und Konventionen, die unter anderem chemische Waffen und
Landminen abgeschafft haben, versuchen, kulturelle Stätten vor der Zerstörung während
bewaffneter Konflikte zu schützen, und Verpflichtungen zum Schutz von Kindern
und anderen Nichtkombattanten festlegen.
Eine Schwächung dieser Gesetze in den letzten drei Jahrzehnten
habe zu einem Gefühl wachsender globaler Unordnung beigetragen, so Dr.
O'Connell. Seit dem Ende des Kalten Krieges, so glaubt sie, seien die USA zu
der Überzeugung gelangt, sie „könnten diese Regeln erfinden oder neu
interpretieren, weil sie die einzige Supermacht seien.“
Dieses Verhalten schwächte letztlich die anerkannten Maßstäbe
für den Casus Belli und führte zu einer allgemeinen Schwächung der Prinzipien
zur Rechtfertigung des Einsatzes von Gewalt oder des Verhaltens einer Partei
bei der Teilnahme an bewaffneten Konflikten.
„Wir haben das deutlich gesehen, als Russland dieses Potpourri
verschiedener Argumente verwendete“, um seine Invasion in der Ukraine zu
rechtfertigen, sagt Dr. O'Connell. Viele dieser Rechtfertigungen für bewaffnete
Konflikte wurden bereits von den Vereinigten Staaten verwendet, um ihre
Intervention im Kosovo und ihre Invasion im Irak, ihren Einsatz von
Drohnenkriegen und gezielten Tötungen zu rechtfertigen, und „warum wir immer
und immer und immer wieder in Afghanistan blieben“, sagt sie – „all diese
Uminterpretationen und eigennützigen Manipulationen des geltenden Rechts.“
Der US-Krieg gegen den Terror im Gefolge der Terroranschläge vom
11. September 2001 – dessen Nachwirkungen noch immer nachwirken – hat die
Grundregeln für Selbstverteidigungskriege neu definiert, mit verheerenden und
kostspieligen Folgen für die USA und den gesamten Nahen Osten. Diese Erfahrung
sollte den heutigen israelischen Strategen eine Warnung sein.
Terrorakte sollten als Straftaten behandelt werden und nicht als
Rechtfertigung für einen totalen Krieg, argumentiert Dr. O'Connell und verweist
auf die unverhältnismäßigen Folgen des israelischen Krieges gegen die Hamas im
Gazastreifen.
Die letzten Hoffnungen auf eine Zeit friedlicher Koexistenz
zwischen den europäischen Mächten nach dem Kalten Krieg wurden am 22. Februar
2022 zerstört, als russische Truppen über die Grenze zur Ukraine stürmten. Sie
hatten erwartet, dass sie in einem einwöchigen Sprint nach Kiew einen Blitzsieg
erringen würden. Doch der Krieg, der nun in sein drittes Jahr geht, scheint
weit von einer friedlichen Lösung entfernt zu sein.
Und vielleicht gibt es einfach keinen. Zu dieser traurigen
Schlussfolgerung kommt der hochwürdige Borys Gudziak,
Metropolit von Philadelphia der ukrainischen katholischen Kirche.
Erzbischof Gudziak erkennt den Pazifismus
als eine wichtige und gültige Strömung im zeitgenössischen Zeugnis der Kirche
an. Er sagt jedoch, die Situation in der Ukraine mache dieses Zeugnis „nicht so
einfach“.
Es sei „ganz anders“, außerhalb eines Kriegsgebiets über den Weg
zum Frieden zu sprechen, sagt er. „Und es ist ganz anders, wenn es dort zu
mutwilliger Brutalität kommt, die Völkermordcharakter hat.“
„Die Ukrainer wollen keinen Zentimeter russischen Territoriums.
Die Ukrainer wollen nicht bestimmen, was in Russland vor sich geht. Aber die
Ukrainer werden sich nicht auslöschen lassen. Und das ist im Grunde die
Situation.“
Erzbischof Gudziak führt eine ganze Reihe
von Verbrechen der Russischen Föderation unter Präsident Wladimir Putin auf,
angefangen bei der Zerstörung von Grosny in Tschetschenien bis hin zum mörderischen
Amoklauf in Syrien und in der Ukraine, der mörderischen Plünderung von Bucha, der Auslöschung der russischsprachigen Stadt
Mariupol und vielem mehr. Herr Putin sei kein Führer, mit dem man vernünftig
reden oder verhandeln könne, sagt Erzbischof Gudziak.
Man könne ihn nur stoppen.
Die Kirche, betont er, sei auch die Hüterin einer Tradition des
gerechten Krieges, die Selbstverteidigung als moralisch legitimen letzten
Ausweg anerkenne. Es besteht kein Zweifel, dass Erzbischof Gudziaks
Ansicht darin besteht, dass die Verteidigung der Grenzen der Ukraine und ihr
Existenzrecht trotz Putins nichtig machender Überzeugungen durchaus in den
Rahmen der Prinzipien des gerechten Krieges der Kirche fallen. Leider ist es
nicht das erste Mal, dass die Ukraine aufgrund der Pläne ihres mächtigen
Nachbarn vor einem existenziellen Dilemma steht.
Was kann die Kirche angesichts komplexer Herausforderungen für
den Frieden wie in der Ukraine, dem Hamas-Angriff auf den Süden Israels und den
daraus resultierenden Vergeltungsmaßnahmen tun, um die Hoffnung auf eine Welt
des echten Friedens am Leben zu erhalten?
Die Organisation kann weitermachen wie bisher, sagt Gerard
Powers, Koordinator des Catholic Peacebuilding
Network und Leiter der Abteilung für katholische Friedensaufbaustudien
am Kroc
Institute for
International Peace Studies der University
of Notre Dame .
Fast alle Konflikte, die „jetzt auf neue Weise ihr hässliches
Haupt erheben“, sagt er, schwelen schon seit Jahren, manchmal Jahrzehnten. In
all diesen Jahren hat der Heilige Stuhl immer wieder auf die Probleme der
Ungleichheit und Ungerechtigkeit aufmerksam gemacht, die Konflikte antreiben.
Die Kirche spielte eine Schlüsselrolle bei der Verbesserung der
Beziehungen zwischen Kuba und der Obama-Regierung; sie hat sich für die
Schaffung und Aufrechterhaltung des Friedens in Kolumbien eingesetzt, wo
Powers‘ eigenes Kroc-Institut weiterhin eine wichtige
Beobachterfunktion hat. Papst Franziskus ist um die ganze Welt gereist, um von
Angesicht zu Angesicht für Frieden und Versöhnung zu werben. Besonders aktiv
war die Kirche in Afrika, wo – fernab der Schlagzeilen der westlichen Medien –
fast die Hälfte des durch bewaffnete Konflikte verursachten menschlichen Leids
stattfindet.
Der Heilige Stuhl habe in den letzten Jahren eine Vorreiterrolle
bei der Forderung nach nuklearer Nichtverbreitung eingenommen, fügt Herr Powers
hinzu, und sei einer der ersten Staaten gewesen, die 2021 den Vertrag zum
Verbot von Kernwaffen unterzeichnet und ratifiziert hätten.
Im Rahmen noch unauffälligerer Bemühungen vor Ort, die
wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ungleichgewichte anzugehen, die zu
Konflikten führen, unterstützt die Kirche eine Reihe von humanitären
Organisationen sowie Organisationen zur Versöhnung und Bürgerentwicklung. So überwacht
sie beispielsweise Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo, bewertet die Menschenrechtslage in
El Salvador und schlägt
Alarm vor den Auswirkungen der Rohstoffindustrie in Peru.
Und während die Kirche tatsächlich auf einen „negativen Frieden“
drängt (das heißt auf geopolitische Fegefeuer, in denen es zwar noch ethnische,
wirtschaftliche oder politische Spannungen geben mag, aber zumindest „keine
direkte Gewalt“), verfolgt sie laut Herrn Powers auch eine Agenda für Frieden
mit Gerechtigkeit. „Integraler Frieden, ganzheitliche Entwicklung und
ganzheitliche Ökologie – sie sind alle miteinander verbunden, wie der Papst
sagt.“
Hilfsorganisationen wie CRS haben schon lange die schädlichen
Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf die menschliche Entwicklung erkannt und
die Notwendigkeit eines Ansatzes zur menschlichen Entwicklung, der
tiefgreifende Friedensarbeit einschließt. Die Katastrophe in Ruanda im Jahr
1994, als Jahrzehnte des Fortschritts durch über 100 Tage völkermörderische
Gewalt zunichte gemacht wurden, löste eine schockierende institutionelle
Prüfung aus. Nach dem Ruanda-Fall „wurden Friedensarbeit und
Gerechtigkeitsarbeit wirklich zu einem festen Bestandteil unserer Arbeit als
Catholic Relief Services“, sagt Nell Bolton, die die Friedensarbeit der Agentur
leitet.
Frau Bolton unterscheidet zwischen ihrer Arbeit als
Friedensstifterin und der wichtigen ergänzenden Rolle als Friedensstifterin.
„Natürlich ist es entscheidend, einen Weg zu finden, die Parteien zu einem
Friedensabkommen zu bewegen“, erklärt sie, aber „wir verstehen Friedensstiftung
als all jene Bausteine, die zu nachhaltigem Frieden führen und an denen man
vor, während und nach gewaltsamen Konflikten arbeiten sollte.“
Wie sieht das vor Ort aus? In Teilen Ost- und Zentral-Darfurs im
Sudan, einer der weltweit akutesten „vergessenen Krisen“, wie Frau Bolton es
nannte, bemühen sich CRS und lokale Partner, trotz zunehmender Spannungen
wichtige Dialogkanäle offen zu halten. Diese Bemühungen werden „nicht
beeinflussen, was mit dem politischen Konflikt auf höchster Ebene geschieht,
aber sie sind wirklich wichtige Aktivitäten, um das soziale Gefüge intakt zu
halten und auch sicherzustellen, dass lokale Konflikte, bei denen es in Darfur
oft um natürliche Ressourcen geht, konstruktiv und gewaltfrei gelöst werden.“
Friedensarbeit „erfordert Geduld, sie braucht Zeit, und es gilt
oft das Motto ‚ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück‘. … Wer die Sache nur
aus einer ‚projektbezogenen‘ Perspektive betrachtet, verliert den Faden auf dem
langen und gewundenen Weg zum Frieden“, sagt Frau Bolton.
Und „manchmal scheinen die Ergebnisse nur von kurzer Dauer zu
sein“, insbesondere wenn „Gemeinden weiterhin von diesen politischen Konflikten
auf höherer Ebene erschüttert werden.“ Sie weist darauf hin, dass die
Gemeindemitglieder, mit denen CRS zusammengearbeitet hat, angesichts der
jüngsten Gewalt in Darfur Schwierigkeiten haben, die erlernten
Friedensstiftungstaktiken anzuwenden.
Sie ist der Meinung, dass ihr Durchhaltevermögen unter extremem
Druck eine gute Lektion ist. „Wenn wir eine friedlichere und nachhaltigere Welt
aufbauen wollen, müssen wir auf allen Ebenen aktiv werden, wo immer es möglich
ist. Es kann nicht etwas sein, das nur an diejenigen auf höherer Ebene
delegiert wird, so wichtig es auch ist, die Kämpfe zu beenden“, sagt sie.
„Unsere langfristige Vision für den Frieden fordert uns alle auf, zu tun, was
wir können, wo wir können.“
Als Bürger der „vermutlich größten Weltmacht“ hätten die
US-Katholiken tatsächlich eine besondere Verantwortung, sich um die
Friedensstiftung zu kümmern, sagt Bischof John Stowe, OFM-Konvent – „insbesondere,
wenn wir versuchen, uns als christliche Nation darzustellen.“
Neben seinen Aufgaben als Leiter der Diözese Lexington,
Kentucky, ist Bischof Stowe Bischofspräsident von Pax Christi USA, dem Förderer
des katholischen Pazifismus in den Vereinigten Staaten. Laut Bischof Stowe
arbeitet Pax Christi USA „ständig mit mehreren Ansätzen“ –
Öffentlichkeitsarbeit, Interessenvertretung und Bildung –, um Friedensstiftung
als praktische Alternative in der geopolitischen Politik der USA zu fördern.
Doch seine wirkliche Aufgabe besteht in der Veränderung von Herz
und Verstand, das heißt in der Bekehrung.
„Unsere Grundlage ist eine Spiritualität der Gewaltlosigkeit.
Wir versuchen zu verstehen, dass Gewalt im Kern unseres christlichen Glaubens
nicht akzeptabel ist“, sagt er. „Und wir müssen unsere eigene Kultur sowie
viele Kulturen auf der ganzen Welt kritisieren, in denen wir der Gewalt zu
leicht nachgeben.“
Er ist sich darüber im Klaren, dass die Botschaft des Pazifismus
„sehr schwer zu verkaufen“ ist und dass sie einen „Ausbruch aus der
vorherrschenden Denkweise“ erfordert.
„Ich kann nicht anders, als zu glauben, dass ein Teil des
Widerstands gegen Papst Franziskus darauf zurückzuführen ist, dass er uns zu
einem viel radikaleren Leben nach dem Evangelium aufruft.“ Das ist eine
Herausforderung für viele US-Katholiken, die Kompromisse mit den Forderungen
des Evangeliums eingegangen sind, um den amerikanischen Lebensstil und die
globale Dominanz der Nation zu rationalisieren.
Papst Franziskus, der wiederholt zu Verhandlungen zur Lösung von
Konflikten aufgerufen, Waffenstillstände in Gaza und der Ukraine gefordert,
nukleare und konventionelle Abrüstung gefordert und den Waffenhandel verurteilt
hat, „war in seinen Bemühungen um Frieden heldenhaft“, sagt Bischof Stowe. Der
Papst ist in ein aktives Konfliktgebiet in der Zentralafrikanischen Republik
gereist und hat südsudanesische Führer nach Rom gebracht, wo er ihnen
buchstäblich die Füße küsste und sie „anflehte, ihre Waffen niederzulegen und
nach Wegen zu suchen, die Probleme friedlich zu lösen.“
Bischof
Stowe beschreibt die Enzyklika „ Fratelli Tutti “ des Papstes als
„einen weiteren grundlegenden Aufruf, das christliche Leben so zu leben, wie
Jesus es verkündet hat, und anzuerkennen, dass wir zur Lösung unserer
Differenzen nicht auf Gewalt zurückgreifen sollten … [und]
dass wir, wenn wir wirklich in der gemeinsamen Würde eines jeden Menschen
verwurzelt sind, wirklich Brüder und Schwestern sind.“
Der Bischof beschreibt die US-Katholiken als „nicht sehr
prophetisch, wenn es um Fragen von Krieg und Frieden geht“ und beschreibt sie
als zu oft schweigsam in ihren Gemeinden und sogar ihren Kirchen, wenn die
US-Führung zur Gewalt greift.
In den Vereinigten Staaten wird die pazifistische Tradition wie
ein „Flügel der Kirche“ behandelt, eine Spezialisierung, bemerkt er, etwas,
woran sich einige Katholiken beteiligen, damit sich andere „nicht darum kümmern
müssen“. Der Pazifismus sei „nicht so essentialisiert
wie einige andere Glaubensrichtungen“.
Gleichzeitig versucht Papst Franziskus, „die katholische
Soziallehre und insbesondere die Lehre von Krieg und Frieden in den Mittelpunkt
unseres Glaubens zu stellen“.
„Die Kirche in den Vereinigten Staaten sollte unbedingt den
gewaltfreien Charakter der Lehren Jesu berücksichtigen“, sagt Bischof Stowe. Er
glaubt, dass diese Botschaft „sehr gut dargelegt“ wurde in „ Die
Herausforderung des Friedens: Gottes Versprechen und unsere Antwort “,
dem Friedenspastoral der US-katholischen Bischöfe aus dem Jahr 1983.
Ist angesichts der offensichtlichen Konfliktintensität jetzt ein
guter Zeitpunkt, dieses Dokument noch einmal zu überarbeiten?
„Ich erwarte ehrlich gesagt nicht, dass sich die US-Konferenz
der katholischen Bischöfe irgendetwas vornimmt, das nach außen gerichtet ist
und sich mit globalen Angelegenheiten beschäftigt, so wie es die
Friedenspastoral oder die Wirtschaftspastoral getan hat“, sagt Bischof Stowe
und bezieht sich dabei auf „ The
Challenge of Peace “ und „ Economic Justice for All “,
die 1983 bzw. 1986 veröffentlicht wurden. Aber er schätzt individuelle
Bemühungen wie „ Leben
im Licht des Friedens Christi“:„Ein Gespräch zur nuklearen Abrüstung “,
ein Hirtenbrief von Erzbischof John Wester von der Erzdiözese Santa Fe, NM, um den zeitgenössischen Pazifismus hervorzuheben
und die Bemühungen der Kirche zur Abschaffung von Atomwaffen fortzusetzen.
Egal, ob man der Tradition des gerechten Krieges oder dem
pazifistischen Kurs der Kirche anhängt, sagt O'Keefe, dass in den Vereinigten
Staaten die Katholiken die Verantwortung haben, dafür zu sorgen, dass ihre
Regierung, die so oft in regionale Spannungen verwickelt ist, die in Konflikte
ausarten können, „alles in ihrer diplomatischen Macht Stehende unternimmt, um
Menschen und Parteien zusammenzubringen, damit sie ihre Konflikte friedlich
lösen können.“
Und die US-Katholiken können sich noch auf einem weiteren Gebiet
für die Konfliktreduzierung engagieren: bei der Verwaltung des Staatshaushalts.
Im März beantragte die Biden-Regierung 850 Milliarden Dollar für das
Verteidigungsministerium für das Haushaltsjahr 2025. CRS hat keine Position
dazu, „was der richtige Betrag für die Selbstverteidigung eines Landes wäre“,
sagte O'Keefe, „aber wir wissen, dass das Gleichgewicht nicht stimmt.“
Er würde es vorziehen, durch Ausgaben für Entwicklungshilfe und
menschliche Entwicklung stärker in Bemühungen zu investieren, die die Ursachen
der Konflikte bekämpfen.
Umfragen zufolge gehen die Amerikaner regelmäßig davon aus, dass
jährlich etwa 15 bis 25 Prozent des US-Haushalts für Entwicklungshilfe
ausgegeben werden. Tatsächlich jedoch beträgt der Betrag für die Kernausgaben,
die sich wirklich mit der Bekämpfung von Armut, Hunger und grundlegenden
menschlichen Bedürfnissen befassen, „weniger als 0,5 Prozent.“
Katholische Bürger hätten durchaus das Recht, gewählte
Amtsträger wissen zu lassen, sagt O'Keefe: „Die Bekämpfung von Armut und Hunger
in der Welt ist uns ein Anliegen“ und „das ist etwas, das aus unserem Glauben
kommt, und wir möchten, dass unsere Regierung mehr tut.“
Der
nächste Haushalt der Biden-Regierung sieht etwas mehr als
10 Milliarden Dollar für humanitäre Hilfe vor, die den Hunger und die Armut
bekämpfen soll, von denen Herr O'Keefe spricht. Damit sollen 330 Millionen
Menschen in mehr als 70 Ländern unterstützt werden. Zusätzliche Notfallausgaben
als Reaktion auf Krisen in Gaza, der Ukraine und anderen Konfliktgebieten
verdoppeln diese Summe, aber die Gesamtausgaben für humanitäre Interventionen
erscheinen immer noch dürftig, insbesondere im Vergleich zu den großzügigen 95
Milliarden Dollar, die kürzlich an Israel, Taiwan und die Ukraine ausgezahlt
wurden.
Bis April 2024 belief sich die Militärhilfe für die Ukraine seit der
russischen Invasion allein auf 70 Milliarden Dollar – die
Gesamthilfe für die Ukraine übersteigt 175 Milliarden Dollar. Dennoch sagen
außenpolitische Berater, dass den Vereinigten Staaten keine andere Wahl bleibt,
als die Gelder weiter fließen zu lassen.
„Wenn du durch die Hölle gehst, geh weiter“, soll Winston
Churchill gesagt haben. Der Weg zu echtem Frieden in der Ukraine und in Europa
führe nur durch diesen Weg, sagt Erzbischof Gudziak –
durch die Beendigung von Wladimir Putins imperialistischen Träumen von einem Großrussland.
Bei diesem Test in Europa stehen noch größere Güter auf dem
Spiel als das Überleben des ukrainischen Volkes. Ein Sieg der Ukraine würde
künftige militärische Abenteuer anderer Mächte verhindern und die
internationale Rechtsordnung schützen, sagt er, „die in Trümmern liegen würde,
wenn man Russland erlaubt, ein unabhängiges Land zu erobern.“
Und ein Sieg der Ukraine würde das Bekenntnis des Westens zur
Nichtverbreitung von Atomwaffen bekräftigen. Als die Sowjetunion 1991
auseinanderbrach, „hatte die Ukraine mehr Atomsprengköpfe als Frankreich,
Großbritannien und China zusammen“, betont Erzbischof Gudziak.
Die Ukraine ist eines der wenigen Länder der Welt, das
freiwillig sein Atomwaffenarsenal abgibt. Grundlage dafür sind
Sicherheitsgarantien, die sie 1994 von den USA, Großbritannien und, ja, auch
von der Russischen Föderation erhalten hat. Andere Atommächte haben sich
verpflichtet, die Souveränität der Ukraine zu schützen, im Austausch für den
Verzicht auf Atomwaffen. Dies sei ein Präzedenzfall, der respektiert werden
müsse, wenn die Weltgemeinschaft das Problem der Verbreitung von Atomwaffen in
den Griff bekommen wolle, sagt Erzbischof Gudziak.
Der Erzbischof scheint sich schmerzlich bewusst zu sein, dass
sein Aufruf zu weiteren Kämpfen im Interesse des Friedens für viele verstörend
klingen wird. Aber „wenn die Ukraine gewinnt, wird
dies eine Quelle großer Abschreckung sein, [einschließlich] nuklearer
Abschreckung, und es wird auch [ein Sieg] für die Wahrung des Völkerrechts
sein“, fasst er zusammen.
„Jedes vernünftige Denken, das die Sündhaftigkeit der
menschlichen Natur, die Typologie der Imperialisten und Diktatoren und die
tatsächlichen Beweise der Geschichte, sowohl der näheren als auch der ferneren,
berücksichtigt, weiß, dass es keinen anderen Weg gibt“, sagt Erzbischof Gudziak, bevor er nach einer Pause hinzufügt: „Es sei denn,
der Herr greift auf wundersame Weise ein.“
„Und dafür beten wir“, sagt er. „Dafür beten wir zehnmal am
Tag.“
Kardinal aus dem Heiligen Land spricht nach Gaza-Besuch: „Genug
des Tötens!“
Von Charles Collins
21. Mai 2024
Kardinal Pierbattista Pizzaballa, der Lateinische Patriarch von Jerusalem, forderte nach seinem Besuch in Gaza vom 15. bis 19. Mai ein Ende des Krieges zwischen Israel und der Hamas.
„Ich bin in der Pfingstwoche nach Gaza gekommen, in der wir um die Ausgießung des Heiligen Geistes beten. Es war sicherlich ein großer Segen, mit den Gemeindemitgliedern von Gaza zusammen zu sein“, sagte er am 20. Mai.
Seitdem hat Israel einen Krieg gegen den Gazastreifen begonnen, in dem nach Angaben des Gesundheitsministeriums über 35.000 Palästinenser getötet wurden.
"Ich war bei meinem Volk, das derzeit unter dem Krieg und der von ihm hinterlassenen Zerstörung sehr leidet. Ich brachte das Versprechen eines neuen Lebens mit und war sehr überrascht, dass sie es waren, die mir eine Lektion erteilten, die ich nie vergessen werde: Ihr unerschütterlicher Glaube, getragen von einem herzerwärmenden Lächeln, hat mich und mein Leben geprägt", sagte Pizzaballa.
Nach seiner Rückkehr nach Jerusalem teilte er seinem Pressebüro mit, er habe den Pastoralbesuch durchgeführt, "um sich ein Bild von den Bedingungen der christlichen Gemeinschaft in Gaza zu machen."Hamas, die islamistische Gruppe, die den Gazastreifen beherrscht, griff Israel am 7. Oktober 2023 an, tötete 1.200 Israelis und nahm über 200 weitere als Geiseln.
"Das Ausmaß der Zerstörung, das ich gesehen habe, ist unglaublich, und die schlechten Lebensbedingungen, wie der Mangel an Wasser und Strom und die fehlende Sicherheit, sind schrecklich", so der Kardinal.
"Das Geräusch von Bombenangriffen ist häufig zu hören und in jedem Augenblick zu spüren. Trotzdem habe ich gesehen, wie sie zusammenhalten, ihr tägliches Leben im Kloster organisieren und den Verbrauch von Strom, Wasser und Lebensmitteln so regeln, dass es ihnen an nichts fehlt", fuhr er fort.
Pizzaballa besuchte auch die orthodoxe Kirche, betete mit ihren Mitgliedern und verbrachte einige Zeit im Kloster, um alle Bewohner zusammen mit ihrem Pfarrer und ihrem Bischof zu treffen, die, wie er sagte, sehr gastfreundlich waren.
"Die Situation ist für alle gleichermaßen schrecklich. Ich habe mit ihnen über ihr tägliches Leben und ihre Hoffnungen nach dem Ende des Krieges und der Wiederherstellung des Friedens gesprochen", so der Kardinal.
"Ich habe nicht gezögert, die Bäckerei zu besuchen und zu segnen, die einer christlichen Familie gehört, die vor kurzem ihren Betrieb wieder aufgenommen hat und alle in der Gemeinde versorgt, wenn auch in kleinen und manchmal unzureichenden Mengen", fuhr er fort.
"Die Beharrlichkeit, mit der die Gläubigen von Gaza die Messe feiern und Christus in der Eucharistie, dem Brot des Lebens, ohne Unterbrechung und ohne Müdigkeit anbeten, hat ihren Geist gehoben und ihnen Kraft, Hoffnung und Freude verliehen", sagte Pizzaballa.
Der Kardinal besuchte auch den Friedhof, wo er die Gräber der verstorbenen Gläubigen segnete, insbesondere die beiden Menschen, die von einem Heckenschützen in der Nähe des Klosters getötet wurden.
"Zum Abschluss meines Besuchs feierte ich mit der Gemeinde von Gaza das Pfingstfest am Sonntag, 19. Mai 2024, und spendete zwei Gemeindemitgliedern das Sakrament der Firmung", sagte er.
"Ich habe zwei wichtige Dinge hervorgehoben: Die Notwendigkeit, die Einheit untereinander zu wahren, wovon ich mich überzeugen konnte. Und die entscheidende Rolle, die die Priester und Schwestern in der Gemeinschaft in der vergangenen Zeit gespielt haben. Ich habe sie auch aufgefordert, mit der Kraft des Heiligen Geistes die Flamme der Hoffnung in ihren Herzen und in ihrem Leben lebendig zu halten, und ich habe ihnen versichert, dass wir als Kirche sie nicht im Stich lassen und zu den Ersten gehören werden, die beim Wiederaufbau des Gazastreifens helfen und den Menschen dort zu einem menschenwürdigen Leben verhelfen", so der Kardinal.
"Was kann ich sonst noch sagen: Ich möchte den Entscheidungsträgern eine klare Botschaft übermitteln. Genug des Tötens! Der Krieg muss beendet werden, und es müssen Wege für verschiedene Hilfen eröffnet werden, um eine drohende humanitäre Krise zu vermeiden. Ich hoffe, dass dieser Alptraum schnell ein Ende hat", sagte Pizzaballa.
Priester aus
Gaza von seiner Herde getrennt
28. April 2024
Als Pater Gabriel Romanelli ins Westjordanland reiste, um dringend benötigte Medikamente für eine Nonne zu besorgen, die mit seiner Gemeinde im Gazastreifen lebt, hätte er nie gedacht, dass er für mehr als sechs Monate von seiner Gemeinde getrennt sein würde.
Pater Gabriel, Pfarrer der Kirche der Heiligen Familie im Norden des Streifens, musste aus der Ferne mit ansehen, wie sich die Schrecken des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober entfalteten, bevor Israels Bombardierung des Gazastreifens zu der humanitären Krise und dem Leid führte, das wir heute in diesem zerrissenen Land sehen. Pater Gabriel, ein argentinischer Priester des Instituts vom Fleischgewordenen Wort, hält sich seither in Jerusalem auf, obwohl die israelischen Behörden ihn wiederholt gebeten haben, zu seinen Leuten in Gaza zurückzukehren.
Vom 22. bis 27. April verbrachte Pater Gabriel eine Woche im Vereinigten Königreich in London und Glasgow, wo er mit christlichen Führern und Politikern zusammentraf, um auf die Notlage der fast 500 Menschen hinzuweisen, die noch immer auf dem Gelände der Kirche der Heiligen Familie Zuflucht suchen.
In einem speziellen Podcast mit dem Katholischen Medienbüro sprach er über seinen Wunsch, seiner Pfarrgemeinde im Norden des Gazastreifens in der Stunde der Not beizustehen, über den Mangel an Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten, über die täglichen Anrufe des Papstes und seine pastorale Sorge um die Menschen, über die Notwendigkeit eines dauerhaften Friedens, darüber, was die Katholiken in England und Wales tun können, über das Licht des Glaubens in der Dunkelheit und vieles mehr.
Christen sind oft die Friedensstifter und Brückenbauer an Orten des Krieges. Die Katholiken in Gaza sind ein gutes Beispiel dafür. Das Leben in Gaza ist immer hart, aber seit dem 7. Oktober haben die Christen ihr Zelt erweitert, um anderen, die unter dem Tod und der Zerstörung in diesem Kriegsgebiet leiden, Schutz zu bieten.
"Gaza ist ein sehr hartes Stück Land, aber es ist ein heiliges Land", sagt Pater Gabriel. "Unsere Kirche, unser Paradies auf Erden, ist zu einem Zufluchtsort, einem Krankenhaus geworden... Wir haben mehr als 20 Menschen aufgenommen, die bei dem Angriff auf die griechisch-orthodoxe Kirche Saint Porphyrius verwundet wurden. Die Kinder haben das gesehen. Die Kinder sahen die Beerdigungen - sie nahmen an den Beerdigungen teil."
Wie auch immer der Gazastreifen nach dem Ende des Krieges aussehen wird, es ist die Frage, wie sich die Kinder erholen, die Pater Gabriel beschäftigt:
"Wir haben es versucht. Wir haben versucht, mit ihnen zu singen. Wir haben versucht, ihr Leben neu zu beginnen... wir kennen die Zukunft nicht. Als Christen sind wir die Söhne des Kalvarienbergs, aber wir sind auch die Söhne der Auferstehung, und das ist unser geheimes Geheimnis. Wir können der palästinensischen Gesellschaft, aber auch der israelischen Gesellschaft und der ganzen Gesellschaft mit unserem prophetischen Zeugnis des Friedens helfen".
Papst Franziskus hat die Pfarrei in Gaza jeden Tag angerufen - auch während der jüngsten Krankheitsphase -, um seine Fürsorge und geistliche Nähe zu den Menschen zu bekunden, die in der Kirche der Heiligen Familie Zuflucht gefunden haben.
"Zwei Tage nach Beginn des Krieges rief er mich auf meinem Handy an und sagte: 'Ich bin der Papst. Wie geht es Ihnen? Jeden Tag ruft der Papst an, um seinen Segen zu erteilen, um Fragen zu stellen, um eine Messe zum Schutz der Kinder zu bitten und um die Nähe der katholischen Kirche zu Millionen von Menschen zu spüren.
"Selbst als der Papst krank war, mit einer sehr schwachen Stimme, rief er uns an und sagte: 'Okay, ich bin bei euch. Ich bete für euch. Ich arbeite für den Frieden in Israel und Palästina.' Wir danken dem Heiligen Vater und der Kirche für diese Verbundenheit.
Pater Gabriel bittet uns, ihn und seine Gemeindemitglieder in unseren Gebeten zu begleiten, während wir unsere Reise durch diese universelle Zeit der Auferstehung in der Osterzeit fortsetzen.
Wenn Sie kirchliche Projekte im Heiligen Land unterstützen möchten, sehen Sie unter:
Latin Patriarchate of Jerusalem: www.lpj.org/en/sectors/health
Friends of the
Holy Land: www.friendsoftheholyland.org.uk/Appeal/hope
Bethlehem Care and Hospice Trust: https://bethlehemcareandhospicetrust.org/
4. April
2024
Bischof Thomas Gumbleton, der Prälat aus
Detroit, der für viele amerikanische Katholiken den auf Glauben basierenden
Aktivismus für soziale Gerechtigkeit in der Kirche nach dem Zweiten
Vatikanischen Konzil definierte, starb am 4. April. Er war 94 Jahre alt.
Gumbleton, der manchmal als Pastor der katholischen Friedens- und
Gerechtigkeitsbewegung beschrieben wird, lebte fast sein ganzes Leben in
Detroit, doch sein Einfluss war an weit entfernten Orten wie El Salvador,
Haiti, Vietnam, Iran und Irak zu spüren.
Er war Gründungsmitglied von Pax Christi USA , dem
nationalen Arm der internationalen katholischen Friedensbewegung, und Bread for the World ,
einer Interessenorganisation, die sich für die Beendigung des Welthungers
einsetzt.
„Um es auf den Punkt zu bringen: Tom hat den Frieden Christi in
seinem ganzen Wesen gelebt“, sagte Johnny Zokovitch,
Geschäftsführer von Pax Christi USA, kurz nach dem Tod des Bischofs. „Alles,
was unsere Bewegung anstrebt, wurde in Tom und in der Art und Weise, wie Tom
lebte, deutlich.“
Unbeflecktes Herz Mariens Sr. Irene Therese Gumbleton,
die letzte noch lebende von neun Gumbleton-Geschwistern,
sagte, ihr Bruder sei in einem Krankenhaus in Dearborn, Michigan, an den Folgen
eines körperlichen Verfalls in der vergangenen Woche gestorben. „Es bedeutet
uns sehr viel, dass wir ihn verloren haben“, sagte sie NCR telefonisch. „Ich
denke, die Kirche wird ihn wirklich vermissen.“
Gumbleton brachte seine
Sorge für ein breites Spektrum globaler Probleme zum Ausdruck und war häufig
vor Ort an Krisenherden in der Welt. In den Vereinigten Staaten wurde er wegen
zivilen Ungehorsams bei Protesten gegen Atomwaffen und dem Irak-Krieg 2003
verhaftet.
In Mittelamerika besuchte er in den 1980er Jahren El Salvador und
Nicaragua und kehrte mit scharfer Kritik an der Politik des Kalten Krieges zur
Unterstützung von Contra-Guerillas in Nicaragua und an einer Regierung in El
Salvador, die es einem Militär erlaubte, die Menschenrechte mit Füßen zu
treten, in die USA zurück.
Während er eine prophetische Rolle übernahm, könnte er auch ein
Kirchenmann sein. Er gehörte zu den Autoren des bahnbrechenden Hirtenbriefs der
US-Bischöfe von 1983 zum nuklearen Wettrüsten, „ Die Herausforderung des Friedens:
Gottes Versprechen und unsere Antwort “, der die amerikanische
Politik kritisierte, aber eine gewisse Rechtfertigung für das System der
nuklearen Abschreckung im Kalten Krieg lieferte.
Nachdem Papst Franziskus 2017 die Position der Kirche zur
Abschreckung geändert und zum ersten Mal erklärt hatte, dass der „bloße Besitz“
von Atomwaffen „aufs Schärfste verurteilt“ werden müsse, sagte Gumbleton gegenüber NCR, er bedauere, was er
1983 geschrieben habe.
Der aus Detroit stammende Gumbleton
wurde 1956 zum Priester geweiht, diente in Pfarreien im Raum Detroit und war
Kanzlerbeamter der Erzdiözese. Er war ein Schützling von Kardinal John Dearden, einem Führer, der das Zweite Vatikanische Konzil
sowohl beeinflusste als auch von ihm motivierte.
Er wurde 1968 im Alter von 38 Jahren zum Weihbischof geweiht und
war damals der jüngste US-Bischof. Doch Gumbletons
rasanter Aufstieg in der Kirchenhierarchie endete in einer Sackgasse. Er ging
2006 mit demselben Titel in den Ruhestand, nachdem er jahrzehntelang als
Pfarrer der innerstädtischen St. Leo-Kirche gedient hatte, wo er sein
Pfarrhaus-Badezimmer mit Gläubigen und Besuchern teilte.
„Er hat nie gelernt, Bischofesisch zu
sprechen“, sagte Pater. Norman Thomas, Pastor der Sacred
Heart Church in Detroit und langjähriger Freund von Gumbleton.
In einem NCR-Interview im Dezember 2017 sagte Gumbleton,
dass er trotz seines schnellen Aufstiegs zum Bischofsrang „nie gedacht habe,
dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich habe nie an die Konsequenzen gedacht.“
Gumbletons häufige Ausflüge in den politischen
Aktivismus und seine Offenheit zu kontroversen kirchlichen Lehrthemen wie
Frauenordination und Schwulenrechten garantierten, dass er in seiner geliebten
Heimatstadt nie über die Position des Weihbischofs hinaussteigen würde.
Während eines Interviews Ende der 1960er Jahre äußerte Gumbleton offene Meinungen zu sozialen und kirchlichen
Themen. Später erhielt er einen freundlichen Warnbrief von Erzbischof Jean Jadot, dem damaligen Apostolischen Delegierten in den USA,
in dem er den Bischöfen vorschlug, sich aus kontroversen Presseinterviews
herauszuhalten.
„Ich war schockiert, dass Jadot sagte,
Sie sollten sich zurückziehen. Ich habe seinen Rat nicht befolgt“, sagte Gumbleton.
Als junger Kanzleibeamter wurde er zu Gesprächen mit Geistlichen
und anderen Aktivisten geschickt, die gegen den Vietnamkrieg waren und die
Erzdiözese zu mehr Maßnahmen gedrängt hatten. Das Ziel bestand darin,
herauszufinden, ob Gumbleton die Lage beruhigen
konnte. Nach einem Treffen mit Aktivisten bekehrte sich Gumbleton
selbst zu verschiedenen Anliegen der sozialen Gerechtigkeit.
„Als der Abend zu Ende war, war ich überzeugt, dass sie Recht
hatten und dass ich protestieren sollte“, erinnerte er sich.
Gumbleton verärgerte
später die Kirchenvertreter wegen der Art und Weise, wie er die Realität des
sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche anerkannte. Im Jahr 2006 gab
er vor den Gesetzgebern des Bundesstaates Ohio eine schriftliche Aussage ab, in
der er seinen eigenen sexuellen Missbrauch durch einen Priester aufdeckte und
eine Verlängerung der staatlichen Verjährungsfrist in Fällen sexuellen
Missbrauchs befürwortete. Infolgedessen wurde er faktisch von seinem
Posten in der St. Leo-Kirche entfernt und gezwungen, in den
Ruhestand zu gehen.
Gumbleton war bis zu seinem Tod weiterhin in örtlichen
Pfarreien tätig und schrieb und sprach weiterhin über Fragen der sozialen
Gerechtigkeit. Jahrelang hatte er eine NCR-Kolumne mit dem Titel „ The Peace Pulpit “,
in der seine Predigten vorgestellt wurden.
Seine Freunde sagten, der Bischof sei von Natur aus introvertiert.
Seine Herangehensweise an Probleme bestand darin, zuzuhören, Fragen zu stellen,
Rat einzuholen und sich in Situationen zu begeben, in denen sich Menschen
unterdrückt fühlten. „Er wollte an Orten sein, an denen es nur um
wirtschaftliche Gerechtigkeit ging“, sagte Thomas.
Ein Großteil seines Dienstes blieb den Medien verborgen, darunter
Besuche in Gefängnissen in Michigan und eine medizinische Mission, die er in
Haiti unterstützte.
„Er verkörperte das Beste der katholischen Tradition“, sagte
Benediktinerin Sr. Anne McCarthy, eine ehemalige Mitarbeiterin von Pax Christi
USA, die mit Gumbleton zusammenarbeitete und ihn
häufig auf Auslandsreisen begleitete.
Trotz Gumbletons Hingabe an die Kirche,
sagte McCarthy, „hat er sich immer für das Evangelium entschieden, wenn es hart
auf hart kam, statt für die Institution.“
Papst Franziskus: Kein Frieden in Israel und Palästina ohne
Zwei-Staaten-Lösung
January 29, 2024
"Der
wahre Frieden zwischen Israel und Palästina bleibt in weiter Ferne",
solange die Zwei-Staaten-Lösung nicht umgesetzt wird, sagte Papst Franziskus in
einem Interview mit der italienischen Tageszeitung La Stampa, das am 29. Januar
veröffentlicht wurde. Der Papst sprach auch über seine Gesundheit, seinen
Umgang mit der Einsamkeit und den Empfang der Erklärung des Vatikans über
Segnungen für Menschen in "irregulären Situationen".
"Im
Moment weitet sich der Konflikt dramatisch aus", sagte er in dem
Interview, das er Domenico Agasso, dem
Vatikan-Korrespondenten der Zeitung, am Freitag, 26. Januar, gab. Seit dem
Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem Einmarsch Israels in den
Gazastreifen ist ein Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah im Südlibanon
ausgebrochen; Kämpfer der Houthi im Jemen haben
Handelsschiffe im Roten Meer angegriffen, was zu Vergeltungsschlägen der
Vereinigten Staaten und Großbritanniens im Jemen führte; der Iran hat Raketen
auf den Irak und Syrien abgefeuert, und die Vereinigten Staaten haben vom Iran
unterstützte Gruppen im Irak ins Visier genommen. Seit der Rede des Papstes am
Freitag hat eine militante Gruppe einen amerikanischen Stützpunkt in Jordanien,
nahe der Grenze zu Syrien, angegriffen, wobei drei amerikanische Soldaten
getötet und viele weitere verletzt wurden.
Der
Papst rief erneut zu einer Zwei-Staaten-Lösung durch die Umsetzung des Osloer
Abkommens auf. "Solange dieses Abkommen nicht umgesetzt wird, bleibt der
wahre Frieden in weiter Ferne", sagte Franziskus. Das Abkommen wurde von
Norwegen vermittelt und 1993 von Israel und der Palästinensischen
Befreiungsorganisation in Washington, D.C., unterzeichnet; ein zweites Abkommen
wurde 1995 in Taba, Ägypten, unterzeichnet.
Auf die
Frage, was er in dieser Situation am meisten fürchte, antwortete Franziskus: "Die
militärische Eskalation". Er erklärte: "Der Konflikt kann die Spannungen
und die Gewalt, die den Planeten bereits kennzeichnen, nur noch
verschlimmern."
Der
Konflikt begann, als die Hamas am 7. Oktober einen Angriff auf den Süden
Israels startete, bei dem rund 1.200 Israelis getötet und 240 Geiseln genommen
wurden, von denen 132 noch immer im Gazastreifen festgehalten werden. Israel
antwortete mit einer mehr als 100 Tage andauernden Bombardierung des
Gazastreifens und startete eine Bodeninvasion, die nach Angaben des
Gesundheitsministeriums im Gazastreifen mehr als 26 400 Palästinenser das Leben
kostete, darunter mehr als 11 000 Kinder und 7 500 Frauen. Mehr als 1,9
Millionen Menschen im Gazastreifen sind vertrieben worden. Am 26. Januar
forderte der Internationale Gerichtshof Israel auf, konkrete Schritte zu
unternehmen, um Völkermord zu verhindern, das Töten von Palästinensern zu
beenden und humanitäre Hilfe zu leisten.
Ungeachtet
des andauernden Konflikts sagte Franziskus, er hege "eine gewisse
Hoffnung", weil "vertrauliche Treffen stattfinden, die darauf
abzielen, ein Abkommen zu erreichen, einen Waffenstillstand, der bereits ein
gutes Ergebnis wäre". Er schien damit auf die Gespräche anzuspielen, die
in Paris zwischen Vertretern Israels, Katars, der Vereinigten Staaten und
Ägyptens stattfinden und die darauf abzielen, eine Vereinbarung über einen
weiteren vorübergehenden Waffenstillstand und die Freilassung von Geiseln zu
erreichen. Die Hamas ist an diesen Gesprächen nicht direkt beteiligt.
Auf die
Frage, was der Heilige Stuhl angesichts des Konflikts im Nahen Osten
unternimmt, sagte der Papst, dass Kardinal Pierbattista
Pizzaballa, der Lateinische Patriarch von Jerusalem, "eine
entscheidende Figur [in dieser Situation] ist. Er ist ein großer Mann. Er bewegt
sich gut. Er versucht mit Entschlossenheit zu vermitteln".
Bei seinem jüngsten Besuch in den
Vereinigten Staaten feierte Kardinal Pizzaballa am
Samstag die Messe Our Lady of
the Ridge in Chicago Ridge. In einer Pressekonferenz
vor der Messe am 27. Januar rief der Kardinal zu einem Waffenstillstand in Gaza
auf und sagte: "Frieden ist nicht nur ein Abkommen. Er ist der Wunsch, friedlich
miteinander zu leben".
"Die Christen und das Volk von Gaza -
ich meine nicht die Hamas - haben ein Recht auf Frieden", sagte der Papst.
Er berichtete, dass er mit den Christen gesprochen hat, die in der Pfarrei
Heilige Familie in Gaza Zuflucht suchen. "Wir sehen uns gegenseitig auf
dem Bildschirm von Zoom", sagte er. "Ich spreche mit den Menschen. Es
gibt 600 Menschen in der Pfarrei. Sie setzen ihr Leben fort und schauen jeden
Tag dem Tod ins Gesicht."
"Die
andere Priorität ist immer die Freilassung der israelischen Geiseln",
sagte Franziskus. Er hat seit dem Hamas-Anschlag unzählige Male an ihre
sofortige Freilassung appelliert.
Der
Korrespondent von La Stampa fragte den Papst nach den Fortschritten der
vatikanischen Diplomatie im Ukraine-Konflikt, der am 24. Februar 2022 mit dem
Einmarsch Russlands in das Land begann. Franziskus erinnerte daran, dass er "diese
komplizierte und heikle Mission" Kardinal Matteo Zuppi,
dem Vorsitzenden der italienischen Bischofskonferenz, anvertraut habe, "der
mutig und sachkundig ist und der eine konstante und geduldige diplomatische Arbeit
leistet, um zu versuchen, den Konflikt beiseite zu schieben und eine Atmosphäre
der Versöhnung zu schaffen."
Er
erinnerte daran, dass der Kardinal nach Kiew und Moskau und dann nach
Washington, D.C., und Peking gereist ist und sagte, dass "der Heilige
Stuhl versucht, für die Freilassung der Gefangenen und die Rückkehr der
ukrainischen Zivilisten zu vermitteln." Der Heilige Stuhl arbeitet
insbesondere mit der russischen Kommissarin für die Rechte der Kinder, Maria Llova-Belova, "für die Rückführung der ukrainischen
Kinder, die gewaltsam nach Russland verschleppt wurden", sagte der Papst
und bezog sich dabei auf etwa 20.000 ukrainische Kinder, die noch in Russland
festgehalten werden. Er wies darauf hin, dass einige bereits nach Hause
zurückgekehrt sind.
Franziskus
wählte seine Worte sorgfältig, als er auf die Frage antwortete, ob es so etwas
wie einen "gerechten Krieg" gebe. Der Papst sagte: "Man muss
unterscheiden und sehr vorsichtig sein mit den Begriffen, die man benutzt. "Wenn
Menschen in Ihr Haus eindringen, um Sie auszurauben und anzugreifen, dann
verteidigen Sie sich". Aber er fügte hinzu: "Ich mag es nicht, diese
Reaktion als 'gerechten Krieg' zu bezeichnen, denn das ist eine Definition, die
instrumentalisiert werden kann. Es ist richtig und gerecht, sich zu
verteidigen, ja. Aber lassen Sie uns bitte von legitimer Verteidigung sprechen,
damit wir nicht Kriege rechtfertigen, die immer falsch sind."
Als
Pfeiler, die zum Frieden in der heutigen Welt führen, nannte er "Dialog,
Dialog, Dialog" und "die Suche nach dem Geist der Solidarität und der
menschlichen Brüderlichkeit". Er fügte hinzu: "Wir können nicht
länger Brüder und Schwestern töten. Das macht keinen Sinn." Er wiederholte
seinen Aufruf an die Gläubigen, "für den Frieden zu beten" und
betonte die Bedeutung des Gebets, denn "es klopft an das Herz Gottes,
damit er die Menschen erleuchtet und zum Frieden führt. Der Friede ist ein
Geschenk Gottes, und er kann ihn uns geben, auch wenn der Krieg unaufhaltsam zu
herrschen scheint".
Seit
Beginn der beiden Kriege hat Papst Franziskus bei fast jeder Generalaudienz am
Mittwoch und beim sonntäglichen Angelus, wenn er die Menschen auf dem
Petersplatz begrüßt, zum Gebet für den Frieden aufgerufen.
In dem
Interview mit La Stampa beantwortete der Papst auch viele andere Fragen. Über
den Moment, als er zum Papst gewählt wurde, sagte er: "Ich hatte ein
überraschendes inneres Gefühl des Friedens". Er bestätigte, dass es ihm "abgesehen
von einigen Beschwerden" gesundheitlich "besser geht, es ist
gut". Er räumte ein, dass er sich, wie jeder andere auch, manchmal einsam
fühle, aber dann "bete ich zuallererst". Er bekräftigte noch einmal: "Ich
denke nicht an [Rücktritt]", räumte aber ein, dass dies für jeden Papst
eine Möglichkeit bleibt.
Auf die
Frage, ob er "die Segnung von Personen in irregulären Situationen oder des
gleichen Geschlechts" gutheiße, wiederholte Franziskus, was er schon
mehrmals gesagt hatte, unter anderem am Freitagmorgen vor der Vollversammlung
des Dikasteriums für die Glaubenslehre. "Das Evangelium soll alle heilig
machen", sagte er. "Natürlich muss der gute Wille vorhanden sein. Und
es ist notwendig, genaue Anweisungen für das christliche Leben zu geben - ich
betone, dass nicht die Vereinigung gesegnet ist, sondern die Personen. Aber wir
sind alle Sünder: Warum sollten wir eine Liste von Sündern erstellen, die in
die Kirche eintreten können, und eine Liste von Sündern, die nicht in der
Kirche sein können? Das ist nicht das Evangelium."
Zur
Kritik an der am 18. Dezember veröffentlichten Segenserklärung "Fiducia Supplicans" bemerkte Papst Franziskus: "Diejenigen,
die vehement protestieren, gehören zu kleinen ideologischen Gruppen."
Er
bezeichnete die Kirche in Afrika als "Sonderfall", denn "für sie
ist Homosexualität aus kultureller Sicht etwas 'Hässliches'; sie tolerieren sie
nicht". Er fügte jedoch hinzu: "Ich vertraue darauf, dass der Geist
der Erklärung allmählich alle beruhigt", denn "er zielt darauf ab, zu
integrieren und nicht zu spalten. Sie lädt uns ein, Menschen willkommen zu
heißen, ihnen zu vertrauen und auf Gott zu vertrauen".
Auf die
Frage, ob er eine Spaltung der Kirche befürchte, sagte Franziskus: "Nein! "Nein!
In der Kirche hat es immer kleine Gruppen gegeben, die schismatische Züge aufweisen.
Man muss sie fortbestehen und vergehen lassen ... und nach vorne schauen."
Er
bestätigte, dass er in diesem Jahr nach Belgien, Indonesien, Singapur,
Timor-Leste und Papua-Neuguinea reisen wird, und dann "ist da noch die
Hypothese von Argentinien", dessen neu gewählten Präsidenten Javier Milei er in Rom nach der Heiligsprechung von Argentiniens
erster weiblicher Heiliger, "Mama Antula",
treffen wird.
Er
schloss das Interview mit den Worten: "Ich fühle mich wie ein
Gemeindepfarrer. Einer sehr großen Pfarrei, sicherlich einer planetarischen
[Pfarrei]. Ich möchte den Geist eines Pfarrers bewahren und mitten unter den
Menschen sein, wo ich immer Gott finde."
Gerard
O'Connell ist Amerika-Korrespondent im Vatikan und Autor von "The Election of Pope Francis: An Inside
Story of the Conclave That Changed
History." Er berichtet seit 1985 über den Vatikan.
21. Dezember
2023
Westliche Kirchen rufen zum Waffenstillstand auf.
Palästinensische Christen hören leere Worte
Von Hanna Vioque
Die palästinensischen
Christen fühlen sich von den Äußerungen globaler christlicher Kirchenführer zum
Krieg zwischen Israel und der Hamas im Stich gelassen, wobei einige den Krieg
als einen Anlass für die westlichen Konfessionen sehen, sich mit ihrer kolonialistischen
Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Für Pfarrerin Sally Azar begann das Jahr mit einem
Höhepunkt. Im Januar kamen Lutheraner aus der ganzen Welt, um ihre Ordination
als erste weibliche palästinensische Pfarrerin zu feiern. Reporter und
Fotografen drängten sich um ein Treffen mit ihr und schrieben Berichte über das
Überwinden der gläsernen Decke in Jerusalem.
Doch seit dem 7. Oktober und dem Ausbruch des Krieges
zwischen Israel und der Hamas kämpft Azar darum, ihre 2.500 Gemeindemitglieder,
die über die besetzten Gebiete und Jordanien verstreut sind, zusammenzuhalten.
Viele im Westjordanland leiden unter starken Einschränkungen der
Bewegungsfreiheit, zunehmenden Angriffen von Siedlern und
Arbeitsplatzverlusten.
Inmitten der Proteste und Verwerfungen, so Azar, haben die
Unterstützung Israels oder die neutralen Äußerungen zu beiden Seiten des
Konflikts durch die westlichen Kirchenführer bewirkt, dass sich die Gemeinden
im Stich gelassen fühlen. Einige sehen den Krieg als einen Anlass für die
westlichen Konfessionen, sich mit ihrer kolonialistischen Vergangenheit
auseinanderzusetzen.
"Jeder versucht, neutral zu
sein, und aus christlicher Sicht glaube ich nicht, dass dies der richtige
Zeitpunkt für Neutralität ist",
sagte Azar.
Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, Primas der
Kirche von England, die eine lange Beziehung zur anglikanischen Gemeinschaft
Palästinas unterhält, die bis in die Zeit der britischen Mandatsmacht
zurückreicht, hat Israel nach Beginn des Krieges besucht. Am 13. November sagte
Welby in einer Rede über den Konflikt, Israels Bombardierung und Belagerung des
Gazastreifens sei "moralisch nicht zu rechtfertigen". Er stellte
jedoch klar, dass es keine Gleichsetzung zwischen den Gräueltaten der Hamas und
"dem Recht und der Pflicht Israels, sich zu verteidigen" gebe, eine
Position, die er am 14. Dezember bekräftigte.
Die Evangelische Kirche Deutschlands, die rund 20 Millionen
deutsche Protestanten vertritt und die Kirche, in der Azar Pfarrer ist, 1898
gründete - Kaiser Wilhelm II. kam auf einem weißen Pferd nach Jerusalem, um
seinen Segen zu geben -, hat zur Einstellung der Kämpfe aufgerufen und
gleichzeitig das Recht Israels auf Selbstverteidigung verteidigt.
Die Leiterin der Kirche, Annette Kurschus, die kürzlich
wegen des Vorwurfs der Vertuschung von sexuellem Missbrauch zurückgetreten ist,
sagte auf einer Synode am 11. November, dass es "keine Rechtfertigung für
Judenhass gibt". Und jeder Versuch, das Massaker vom 7. Oktober zu
relativieren, ist Antisemitismus. Jedes 'Ja, aber' ist eine
Verharmlosung."
Diese Herangehensweise hat einige palästinensische Christen
fassungslos gemacht.
"Ein Waffenstillstand reicht nicht aus", sagte
Pfarrer Mitri Raheb, ein lutherischer Pastor und palästinensischer Theologe in
Bethlehem.
Raheb sagte voraus, dass, wie auch immer der gegenwärtige
Krieg enden werde, in den nächsten Jahren mit weiteren Kämpfen zu rechnen sei.
Er sagte, dass Kirchenführer außerhalb des Heiligen Landes Druck auf ihre
mächtigen Regierungen im Westen ausüben müssten, um eine echte politische
Lösung zu finden.
"Ohne Gerechtigkeit für die Palästinenser wird es
keinen Frieden für Israel geben", sagte Raheb. "Gerechtigkeit ist das
Herzstück des Evangeliums. Wir können bei der Gerechtigkeit keine Kompromisse
eingehen. Die anderen Kirchen wollen Frieden ohne Gerechtigkeit."
Am 27. November reiste eine Delegation palästinensischer
Christen nach Washington, um bei der Regierung Biden Lobbyarbeit zu leisten.
Sie übergaben ein Schreiben, in dem sie einen umfassenden und sofortigen
Waffenstillstand forderten und das mit den Unterschriften der lutherischen,
orthodoxen, armenischen und katholischen Führer in Bethlehem versehen war.
Pfarrer Munther Isaac, ein
lutherischer Pastor und einer der Delegierten, sagte, er sei "sehr
enttäuscht" von den jüngsten Erklärungen, die nicht auf die Geschichte des
Konflikts eingingen. "Die Dinge haben nicht am 7. Oktober begonnen. Sie
konzentrieren sich auf das Recht Israels, sich selbst zu verteidigen, aber was
ist mit dem Recht der Palästinenser, sich selbst und ihr Land gegen die
Kolonisierung zu verteidigen?", sagte er.
"Ich bin beunruhigt, wenn die
Kirchen einfach die israelische Erzählung wiederholen, ohne sie zu
hinterfragen", fügte er hinzu. "Sie versuchen, einem Völkermord eine
rationale Grundlage zu geben.
Selbst die Antworten des Vatikans waren in Isaacs Augen
unzureichend. Am 22. November sagte Papst Franziskus vor der Generalsynode,
dass Israels Kampagne in Gaza "über Kriege hinausgegangen" sei.
"Dies ist kein Krieg, dies ist Terrorismus",
erklärte Franziskus. Auf die Frage, ob Franziskus eine stärkere Haltung
eingenommen habe, antwortete Isaac: "Ja. Aber nicht genug. Wir brauchen
mehr."
"Ich erwarte von den Kirchen, dass sie die Dinge beim
Namen nennen: Es ist ein Völkermord. Es gibt eindeutige Kriegsverbrechen, die
von zahlreichen Organisationen bestätigt wurden. Die Kirchen sind im Großen und
Ganzen noch nicht bereit, Israel ausdrücklich und direkt zu verurteilen",
sagte er.
Eine andere Vertreterin, die nach Washington geflogen war,
Tamar Haddad, äußerte sich ähnlich desillusioniert. Als Koordinatorin der Churches for Middle East Peace,
einer Koalition orthodoxer, katholischer und protestantischer Kirchen in der
Region, warf sie den westlichen Kirchen vor, in ihrer Unterstützung für einen
Waffenstillstand zu schwanken. Wenn sie "zu einem Waffenstillstand aufriefen",
sagte sie, "dann immer in Verbindung mit widersprüchlichen
Erklärungen".
"Ich weiß nicht, wovor sie Angst haben", sagte
Haddad. "Sie konzentrieren sich immer wieder auf das Falsche".
Zu Beginn des Krieges äußerten Anglikaner im Westjordanland
in einem empörten Brief am 21. Oktober ähnliche Einwände. Gemeinden in den
Westjordanland-Städten Ramallah und Birzeit
schrieben, sie seien "völlig perplex" über die öffentlichen
Erklärungen des Erzbischofs von Canterbury, in denen er das Recht Israels auf
Selbstverteidigung unterstützt.
"Glaubt die Kirche nicht, dass das, was hier geschieht,
das Ergebnis von 75 Jahren systematischer Verweigerung der unveräußerlichen
Rechte unseres Volkes ist, während die ganze Welt einfach zuschaut", heißt
es in dem Brief an Welby.
Raheb und Haddad bescheinigen mehreren Konfessionen und
Organisationen in den USA, insbesondere den protestantischen, eine stärkere
Unterstützung für die Palästinenser. Die Presbyterianische Kirche (USA), die
2022 eine Resolution verabschiedete, in der sie Israel als Apartheidstaat
bezeichnete, hat ihre Unterstützung für das "Recht der Palästinenser auf
ein freies Leben in ihrem Land ohne Besatzung" und für Israels
"Recht, als freie und souveräne Nation zu existieren" zum Ausdruck gebracht.
Die Vereinigte Kirche Christi, die Jünger Christi und die
Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika haben zusammen mit 26 anderen
protestantischen Gruppen am 12. Oktober in einem Brief an den Kongress auf die
"jahrzehntelange institutionalisierte Unterdrückung und kollektive
Bestrafung" der Palästinenser hingewiesen.
Aber diese Kirchen sind nicht diejenigen, die auf den
Kongress Einfluss haben, sagte Raheb und verwies auf die Übereinstimmung
zwischen amerikanischen evangelikalen Christen und der Republikanischen Partei.
In der Tat scheinen bestimmte Gebetshäuser mit einem
historischen Stigma behaftet zu sein, und es ist nicht so sehr ihre offizielle
Haltung, die kritisiert wird, sondern ihre engen Beziehungen zum imperialen
System.
Die palästinensischen Christen fordern auch die westlichen
Kirchen auf, Buße zu tun und sich zu ändern, und zwar nicht nur wegen ihrer
derzeitigen Haltung, sondern auch wegen der historischen Rolle ihres Landes bei
der Schaffung der Ursachen für den Konflikt.
"Warum konnte der Erzbischof nicht sagen: 'Wir haben
euch Palästinensern Unrecht getan, durch die Balfour-Erklärung, durch das
britische Mandat'", so Raheb. Das tut uns leid, und wir wollen es
wiedergutmachen, damit dieses Land von zwei Völkern geteilt werden kann und
nicht nur von einem."
"Sie haben nie bereut, dass sie dieses ganze
Siedlerkolonialprojekt in Palästina begonnen haben. Das wurde nie
angesprochen", sagte Raheb und bezog sich dabei auf die Hauptrolle
Großbritanniens bei der Gründung Israels.
Für Azar geht es nicht um eine historische Schuld, sondern
um Menschlichkeit. "Die Kirchen sind keine Politiker", sagte sie.
"Wir reagieren auf eine christliche Art und Weise."