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KRITISCHES CHRISTENTUM

 

Nr. 472/473                     November/Dezember 2023

 

 

 

DER PATRIARCH ZWISCHEN DEN FRONTEN

Der neue Kardinal Pizzaballa verurteilt den Hamas-Terror und verteidigt die Rechte der Palästinenser

Der 58jährige, in Italien geborene Pierbattista Pizzaballa O. F. M. gilt als enger Ver­trau­ter von Papst Franziskus, der ihn stetig gefördert hat. 2016 wur­de er zum Apo­sto­lischen Ad­ministrator des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem und 2020 zum Lateinischen Patriarchen von Jerusalem mit Ver­antwortung für das gesamte Heilige Land ernannt. Trotzdem kam es nicht nur für Pizzaballa überraschend, als er am 9. Juli 2023 erfuhr, dass ihn der Papst als ersten Bischof in der Ge­schichte des Heiligen Landes  zum Kar­dinal ernennen würde. Die offizielle Aufnahme in das Kar­di­nals­kol­legium fand am 30. September in Rom statt. Pizzaballa sah seine Ernennung als „Anerkennung der Be­deu­tung der heiligen Stadt für die drei abra­hamitischen Religionen sowie der Rolle der Kir­che im Nahen Osten“. Das ursprünglich in Jerusalem geplante Fest zur Kar­di­nals­er­nen­­nung wur­de am 7. Oktober wegen des fürchterlichen Terrorangriffs der Hamas abge­sagt.

Von diesem erfuhr der neue Kardinal auf seiner Rückreise aus Rom. „Wir befinden uns in einer sehr ernsten Notlage, und ich befürchte, dass es zum Krieg kommen wird“, sagte er in einer ersten Reaktion gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur ANSA. Die Lage sei „plötzlich und oh­ne große Vorwarnung sehr ernst geworden“. Kardinal Pizza­bal­la appellierte an die internationale Gemeinschaft: „Sie muss den Ereignissen im Na­hen Osten wieder mehr Aufmerksamkeit schenken! Diplomatische oder wirtschaftliche Ver­einbarungen ändern nichts an der Tatsache, dass es eine israelisch-palästinensische Frage gibt, die gelöst werden muss“.

In einem Interview mit „Vatican News“ am 10. Oktober erklärte der Patriarch: „Die Eska­lation des Konflikts lag offen vor aller Augen für alle sicht­bar. Aber eine Explosion sol­cher Gewalt, solchen Ausmaßes und solcher Brutalität – das hatte niemand vor­her­ge­­sehen... Solange die pa­lä­sti­nen­sische Frage, die Freiheit, die Würde und die Zukunft der Palästinenser nicht in der nötigen Weise berücksichtigt werden, solange werden die Aus­­­sichten auf Frieden zwischen Israel und Palästina immer schwieriger.“

Am 16. Oktober meinte Pizzaballa bei einer Online-Pressekonferenz, die Freilassung der Geiseln wäre evt. ein Ausweg aus der akuten Kri­sen­situa­tion. Diese Geste könne vielleicht die geplante Bodenoffensive Israels im Gazastreifen noch aufhalten. Er bot sich als Austausch gegen Geiseln der Ha­mas an. „Wenn auf diesem Weg Kinder frei­kom­men, wäre ich dabei“.

In einem weiteren Interview mit Vatikanmedien sagte der Jerusalemer Kardinal am 24. Oktober: „Die Hamas hat Gräueltaten begangen, für die es kei­ne Rechtfertigung gibt. Aber die Antwort darauf kann nicht sein, zwei Millionen Menschen verhungern zu las­sen.“ Und: „Die Bombardierung wird niemals zu einer Lösung führen“, stellte er fest.

Am 24. Oktober veröffentlichte Patriarch Pizzaballa einen Brief an alle Gläubigen seiner Diözese. Darin betont er u. a.: „Mein Gewissen und meine moralische Verantwortung verlangen von mir, dass ich klar und deutlich sage, dass das, was am 7. Oktober im Sü­den Israels geschehen ist, in keiner Weise hinnehmbar ist und wir es nur verurteilen können. Es gibt keinen Grund für eine solche Gräueltat. Ja, wir haben die Pflicht, dies zu sa­gen und anzuprangern. Die Anwendung von Gewalt ist nicht mit dem Evangelium vereinbar und führt nicht zum Frieden. Das Leben eines jeden Menschen hat die gleiche Würde vor Gott, der uns alle nach seinem Bild geschaffen hat.

Aber mit demselben Gewissen und mit einer großen Last auf dem Herzen muss ich heute mit gleicher Klarheit feststellen, dass dieser neue Kreislauf der Gewalt im Gazastreifen mehr als fünftausend Tote (Anm.: bis 24. Oktober) darunter viele Frauen und Kinder, Zehn­tausende von Verwundeten, dem Erdboden gleichgemachte Stadtviertel, Mangel an Me­dikamenten, Wasser und lebensnotwendigen Gütern für mehr als zwei Millionen Men­­­schen zur Folge hatte. Dies sind unfassbare Tragödien, die wir vorbehaltlos an­pran­gern und verurteilen müssen. Das anhaltende schwere Bombar­de­ment, das seit Tagen auf den Gazastreifen niedergeht, wird nur noch mehr Tod und Zerstörung ver­ur­sa­chen und Hass und Ressentiments verstärken. Es wird kein einziges Problem lösen, sondern eher neue schaffen. Es ist an der Zeit, diesen Krieg, diese sinnlose Gewalt zu be­enden.

Nur wenn die jahrzehntelange Besatzung und ihre tragischen Folgen beendet werden und dem palästinensischen Volk eine klare und sichere nationale Perspektive gegeben wird, kann ein ernsthafter Friedensprozess beginnen. Solange dieses Problem nicht an der Wurzel gelöst wird, wird es niemals die Stabilität geben, auf die wir alle hoffen.“

 

LAUDATE DEUM“: DIE ZEHN KERNSÄTZE

Hier finden Sie die zehn wichtigsten Sätze aus dem Schreiben „Laudate Deum“ von Papst Franziskus zum Klimawandel.

1 „Mit der Zeit wird mir klar, dass wir nicht genügend reagieren, während die Welt, die uns umgibt, zerbröckelt und vielleicht vor einem tiefen Einschnitt steht.“

2 „Wie sehr man auch versuchen mag, sie zu leugnen, zu verstecken, zu verhehlen oder zu relativieren, die Anzeichen des Klimawandels sind da und treten immer deutlicher hervor.“

3 „Die Wirklichkeit ist, dass ein kleiner Prozentsatz der Reichsten auf der Erde die Um­welt mehr verschmutzt als die ärmsten 50% der gesamten Weltbevölkerung.“

4 „Der menschliche – anthropogene – Ursprung des Klimawandels kann nicht mehr bezweifelt werden.“

5 „Nie hatte die Menschheit so viel Macht über sich selbst, und nichts kann garantieren, dass sie diese gut gebrauchen wird, vor allem wenn man bedenkt, in welcher Weise sie sich gerade jetzt ihrer bedient…“

6 „Es bleibt bedauerlich, dass man globale Krisen verstreichen lässt, wo sie doch die Chance bieten würden, heilsame Veränderungen herbeizuführen.“

7 „Zu sagen, dass man sich (vom nächsten Klimagipfel in Dubai) nichts zu erwarten braucht, gliche einer Selbstverstümmelung, denn es würde bedeuten, die gesamte Mensch­heit, insbesondere die Ärmsten, den schlimmsten Auswirkungen des Klimawan­dels auszusetzen.“

8 „Hören wir endlich auf mit dem unverantwortlichen Spott, der dieses Thema als etwas bloß Ökologisches, ‚Grünes‘, Romantisches darstellt, das oft von wirtschaftlichen Inter­es­sen ins Lächerliche gezogen wird.“

9 „Es wird von uns nichts weiter verlangt als eine gewisse Verantwortung für das Erbe, das wir am Ende unseres Erdendaseins hinterlassen werden.“

10 „Ein Mensch, der sich anmaßt, sich an die Stelle Gottes zu setzen, wird zur schlimm­sten Gefahr für sich selbst.“

Quelle: vatican news – 4. 10. 23. www.vaticannews.va

 

WIE POLITISCH SIND BEWEGUNGEN – GESTERN UND HEUTE?

Von Jussuf Windischer

Vor 50 Jahren wurde in Chile geputscht. Die Hoffnung auf einen Sozialismus mit mensch­lichem Antlitz wurde zunichte gemacht, auch die konkrete Uto­pie einer klassenlosen Gesellschaft vorerst mit Gewalt zerstört. Verschiedenste politische Be­wegungen (Solidaritätsbewegungen, Anti-Atom-Pro­teste, Friedensbewegungen, Flücht­lingssolidarität, Umweltaktivitäten etc.) lebten auf, lebten weiter – aber die politische Analyse und die Kon­tu­ren der politischen Ziele und der gesellschaftlichen Entwürfe wurden im­mer unklarer. Früher gab es viel politisiertes Engagement, heute scheint viel Engagement da zu sein, aber „entpolitisiert“.

Biographisches

Unter dem Einfluss der Familie, insbesondere der Eltern war eine antifaschistische und antikommunistische (insbesondere antistalinistische) Ein­stel­lung prägend. Erlebnisse im Leben mit und unter der Bevölkerung Zimbabwes (damals Südrhodesien), die ersten Kontakte mit KatechistInnen, die in Befreiungsbewegungen aktiv waren, eröffneten neue Erklärungen und ein neues Politikverständnis. Eine intensive Auseinandersetzung mit Ge­sellschaftslehre, Politik und auch dem Marxismus/Leninismus erfolgte in Trier (Geburtsstadt von Karl Marx), in der Folge beim Studium in Frank­reich in den Nach­we­hen des Mai 1968. Eine Kirche auf Seite der Armen, französische Arbeiterpriester, ein Kurs in der Kommunistischen Par­tei Frankreichs, Kontakte mit der Neuen Linken eröffneten zudem eine neue politische Praxis auf Seiten der Armen und in Randvierteln.

Die Vorerfahrungen wurden ab 1970 in das damalige Innsbrucker Jugendzentrum Z6 mit­eingebracht, ein Zentrum für Hunderte von jugendlichen Ar­beiterinnen und Ar­bei­tern. Die sozialpolitischen Konsequenzen waren diverse Sozialinitiativen und die Mit­ar­beit in sozialen Bewegungen. Po­li­tisch Interessierte, Mitmenschen aus der linken Sze­ne, LinkskatholikInnen oder sozialistische ChristInnen begleiteten die Prozesse.

Absolut prägend waren die Jahre in Brasilien, eine sehr konkrete politische engagierte Ar­beit in Basisgemeinden, Genossenschaften, Gewerk­schaften, Volksbewegungen und auch in der Arbeiterpartei (PT). Politische Gruppen, Parteischulen, Fortbildungen, Aus­ein­andersetzungen standen auf der Tagesordnung – das ist mein politischer Hintergrund. Aus diesem Blickwinkel erfolgen auch die folgenden Überlegungen und Einschät­zun­gen.

Politische Blütezeiten (1980-1990)

Politische Gruppen organisierten sich Ende des letzten Jahrhunderts in vielen Ländern, so auch in Öster­reich vornehmlich und beispielhaft um die Frie­densbewegung, um die Be­wegung zum Schutze der Umwelt und in den Solidaritätsbewegungen. Etliche Ko­mi­tees und Gruppen bildeten sich. In den meisten ging es wohl um die Theorie, um die Ana­lyse von Hintergründen, auch um das „Sehen – Urteilen – Handeln“. Politischer Ak­tionismus stand auf der Tagesordnung. Die Bewegungen setzten sich durchaus mit der katholischen Sozial- und Gesellschaftslehre inkl. Sozialenzykliken aus­einander. Von großer Relevanz waren Erklärungen, Analysen und Programme der SPÖ, der Grü­nen und der marxistisch orientierten Gruppen.

Ein weiterer Fokus bestand in den sog. sozialpolitischen Bewegungen und sozialen Ini­tia­tiven. Soziale Missstände wurden aufgegriffen, Lösungs­an­sätze erörtert (vgl. Schlos­ser/Schlosser, Gründerzeiten. Innsbruck 2020), Maßnahmen ergriffen.

Beginn der Entpolitisierung

Es folgte in Österreich der eine oder andere Rechtsruck – zugleich aber vollzog sich der Zu­sammenbruch der sog. sozialistischen Systeme. Es folgte Hei­matlosigkeit für viele, ein Trend zur Entpolitisierung, zum Abschied von „politischem Denken“ und für gar manch politisch Engagierte kam es zur politischen Vereinsamung. Die Nostalgie nahm zeitweise überhand, andere bemühten sich, die aktuellen politischen Verhältnisse zu durch­den­ken und die neuen Voraussetzungen zu analysieren. Viele suchten politische Re­flexions- oder Aktionsgruppen, fanden aber keine mehr. Auch in ver­schiedensten Be­we­gungen, wo es um Flüchtlinge, Menschenrechte, Umwelt, Frieden u. a. m. ging und geht, war eine „Entpolitisierung“ spürbar. Ent­politisierung im Sinne von fehlender Be­reit­schaft, Problemlagen aber auch Aktionsziele umfassend zu analysieren, zu dis­ku­tie­ren und daraus auch langfristige Perspektiven bzw. Visionen zu entwickeln.

Konkrete Fallbeispiele der „Entpolitisierung“

Vor einigen Tagen nahm ich an einer Demo der „Fridays for Future“(FFF) teil, hatte eine meiner Enkelinnen im Kinderwagen und konnte mich mit dem Hauptredner der De­mo, einem älteren, glaubwürdigen Politveteranen unterhalten. Thema: Wahrneh­mung des gesellschaftlichen Rechtsruck, Wert­schätzung der FFF und anderer Bewegun­gen.

Folgende Thesen möchte ich zur Diskussion stellen:

1. Es gibt einen Rückzug in den Individualismus – viele meiden politische Diskussionen. Diskutiert wird eher über Leiderfahrungen, Ein­schrän­kun­gen, Berufsenttäuschungen.... über persönliche Betroffenheiten.

2. Eine neue Kategorie ist das „Was bringt es mir...“ „Was hab ich davon“. In der sog. Wer­teskala spielt der Utilitarismus eine große Rolle

3. Falls jemand engagiert ist, geht es meist um einen Protest, um eine Forderung, manch­mal um ein kurzfristiges Ziel ohne explizite politische Dimension

Fallbeispiele:

1. Bei einer Forderung von FFF geht es z. B.: um den eingemahnten Klimagipfel. Er­in­nert wird an Klimaschutzprogramme. Nicht diskutiert werden eventuelle weiterführende Gedanken: z. B.: wenn Klimaschutz gelingen soll, muss die Wirtschaft schrumpfen, doch dann kann der Kapitalismus, der auf Wachstum angewiesen ist, nicht mehr exi­stie­ren. Offen bleibt, ob die Klimaschützer langfristig den Kapitalismus einschränken oder gar über­winden wollen? Wer soll das durchsetzen? Welche Partei, Gewerkschaft, Kam­mer, Bewegung, welche Sektoren der Zivilgesellschaft? Diese Fragen bleiben nicht nur offen, sondern werden z. Z. auch nicht diskutiert. So demonstrieren kapitalistisch orien­tierte und kapitalismusfeindliche Men­schen miteinander für Klimaschutz. Geht das gut aus?

2. Klimaaktivisten der Letzten Generation bringen durch gewaltfreien Blockaden u. a. m. das Thema der Klimakatastrophe vehement auf die Tages­ord­nung. Es gibt Aktionen und auch Krisengespräche unter dem Titel: „Was wirst du tun“ (vgl. Flugblätter der „Letzten Generation“). Es geht um den Aufruf zum Handeln. Es gibt die kurzfristigen Ziele: 100 km/h auf den Straßen, 30 km/h im Ortsgebiet, kein Fracking – keine Boh­run­gen. Ein­sichtig, auch nachvollziehbar – aber die Erfüllung dieser Forderungen würden das politische System nicht ändern. Was sind die größeren Ziele?

3. Gewerkschaften fordern die 35-h-Woche bei gleichem Lohn. Diskutiert wird zugleich über Arbeitskräftemangel, über das was sich die „Wirt­schaft“ nicht leisten kann, über die Abwälzung des Preises auf die Kunden, weitere Teuerungen, mehr Steuern, An­kur­be­lung des Konsums u. a. m. Wer diskutiert noch, dass die Gewinne der Un­ter­neh­men nicht nur auf neue Investitionen und Steigerungen der Produktionen setzen müsste, son­dern ein­fach in die Arbeitszeitverkürzung – auf Kosten von Wirt­schafts­wachs­tum, aber zu­gunsten der Menschen. Das wäre das eigentliche politische Ziel und die Über­le­gun­gen, wer das durchsetzen kann, ob das durchsetzbar wäre, das braucht eine politische Dis­kussion.

4. Was kann Gesellschaft verändern? Manche, ja sehr viele meinen, es sei das persönliche und individuelle Beispiel. Eine konsequente, beispielhafte, glaub­würdige Lebensführung ist sicher wünschenswert, lobenswert, sogar vorteilhaft. Nicht umsonst hat die Glaubwürdigkeit der Mandatare der KPÖ in Graz und Salzburg Stimmen gebracht. Politisch gesprochen, spielt sich aber vieles, so auch Konsumverzicht in einem System ab. So kommt es, bildhaft gesprochen, dass wir in einem umweltzerstörendem Turbojet sitzen und die Welt zerstören und im Flugzeug brav Müll trennen, vielleicht so­gar vegetarisch oder vegan speisen und gerecht gehandelten Kaffee genießen. Symbolhaft ist das zwar schön und lobenswert – das Verhalten än­dert aber nicht das System. Der große Turbojet fliegt weiter und zerstört die Umwelt. Mit den Worten von Papst Franziskus hieße es: „Dieses Sy­stem tötet!“ (Laudato si)

5. Sehr viele Menschen leben in den wohlhabenden Industrieländern konsumorientiert und verbrauchen sehr viel Ressourcen und zerstören hiermit auch direkt oder indirekt den Planeten. Der Glaube an eine unendliches Wachstum ist anscheinend uner­schüt­ter­lich. Angenommen, eine politische Strömung, Interessensvertretung, eine Kammer, Ge­nos­senschaft, Gewerkschaft, NGO. (z. B. Die Gemeinwohlökonomie u. a. m.) würde Ver­zicht und Einschränkungen einfordern und propagieren – die Leute würden sich von ihnen sicher trennen bzw. verabschieden. Ange­nom­men eine po­litische Partei würde Verzicht, Reduktion und diverse Einschränkungen in das Programm aufnehmen – die Partei würde einen katastrophalen Stim­menverlust erleiden. Wer würde ein Partei wäh­len, die von Verzicht spricht. Lieber wählt man dann eine Partei, die das Blaue vom Him­mel und noch mehr verspricht, wohlwissend, dass Wahlwerbungen oft wenig mit der Wahrheit zu tun haben, noch weniger mit beabsichtigten Rea­li­sie­rungen. Wahl­wer­bun­gen wollen Stimmen, wollen Mehrheiten, versprechen den Zielgruppen mehr Geld, mehr Konsum, ein besseres Leben und noch viel mehr, nur nicht ein gutes Leben für alle.

Schluss

Es bleibt allerdings die Frage unbeantwortet, wie es in einer Demokratie zu dringend notwendigen Systemveränderungen kommen könnte. Dazu braucht es politisches Den­ken, politischen Austausch, politisches Handeln in Dimensionen der Solidarität mit allen Menschen, auch mit der Natur. Wir haben nämlich nur eine Welt. Vielleicht waren die po­litischen Akademien, die politischen Fortbildungskurse, die Parteischulen, die Marx­lese­krei­se u. ä. m. hilfreich. Wie könnten heute zeitgerechte, bessere Fortbildungen uns helfen, um letztlich wieder Analysen, Einschätzungen und auch Visionen der Solidarität zum Durchbruch zu verhelfen? Wo bitte geht es zur Utopie, wie geht es zu einer gerechten Gesellschaft? Das ist eine politische Frage. Vielleicht entsteht aus dem Feuer (manchmal auch dem Strohfeuer) der dztg. Bewegungen das Bedürfnis nach politischer Analyse, nach einer Einschätzung und einer Strategie, um nicht nur auf Missstände und Ungerechtigkeiten zu reagieren, sondern es dazu nicht mehr kommen zu lassen: da geht es um ein System, da geht es um neue, herrschaftsfreie Strukturen. Natürlich werden sich Profiteure der dztg. Gesellschaftsordnung mit allen Mitteln, auch mit Gewalt da­ge­gen wehren. Es ist ein beschwerlicher Weg.

Dr. Josef (Jussuf) Windischer, geboren am 12. 8. 1947 in Innsbruck, Studium der katholischen Theologie. Religionslehrer, Leiter mehrerer Sozialprojekte in Ti­rol, Entwicklungshilfeeinsätze in Zimbabwe und Brasilien, Gefängnis- und Ausländerseelsorger in Tirol, Generalsekretär von Pax Christi Österreich (2011 – 16), seit 2012 Obmann der Vinzenzgemeinschaft in Tirol sowie Grün­der und Leiter des Vinziprojekts „Waldhüttl“ (http://www.waldhuettl.at/). Jus­suf Win­di­scher ist auch AKC-Vorstandsmitglied.